Zukunft Innenstadt: Wie die Braunschweiger Politik die Einkaufsmeile retten will

Der Abgesang auf den stationären Einzelhandel wird an vielen Stellen immer lauter. Wo mancher eine Transformation sieht, fürchten andere um Arbeitsplätze und Steuergelder. Nur eins ist sicher: Der Wandel ist schon längst da.

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Symbolbild | Foto: regionalHeute.de

Braunschweig. Ist die große Zeit der Einkaufsinnenstadt vorbei? Dahin die Zeit, in der die Familie samstags in die City fuhr, um gemeinsam einzukaufen? Ja, glaubt mancher Beobachter und sieht die Pleiten großer Warenhäuser nur als Symptom eines seit Jahren laufenden Trends, in dem große und kleine Einzelhändler allmählich das Rennen gegen den Internethandel verlieren. Und doch hat sich die Politik auf die Fahnen geschrieben, die City als Aufenthalts- und Einkaufsort zu erhalten. regionalHeute.de hat die Fraktionen des Braunschweiger Stadtrates gefragt, wie sie die City am Leben halten wollen und was aus leerstehenden Großimmobilien werden soll, wenn Karstadt, Galeria und Co. nicht mehr existieren. Lesen Sie hier den dritten Teil unserer Artikelserie "Zukunft Innenstadt".


Die Innenstadt ist in Bewegung. So weit sind sich alle Parteien einig. Die klassische Einkaufscity kann im Rennen mit Amazon und anderen Internethändlern nicht mehr mithalten. Daher müssten sich die Citys anpassen und damit eben auch die Einzelhändler. Die Fußgängerzonen sollen nicht mehr reine Einkaufsstraßen sein, das Shoppen soll zum Erlebnis werden, ja der Innenstadtbesuch selbst soll das Erlebnis sein. So weit die Einigkeit. Bei acht Fraktionen im Rat endet die Einigkeit natürlicherweise bei diesem Fundament. Gegenüber regionalHeute.de haben die Fraktionen auf Anfrage ihre Konzepte erklärt.

Vom Einkauf zum Event


So sicher wie sie sich hinsichtlich des Wandels sind, so sicher sind sich die Parteien auch, dass der Einzelhandel überleben wird, ja sogar muss. Denn, so etwa die FDP, "eine Innenstadt ohne Einzelhandel ist keine Innenstadt". Doch die Gastronomie und Eventgewerbe würden die Innenstadt in Zukunft zunehmend prägen. Ein Fakt, den auch die BIBS erkennt. Sie sieht im zunehmenden Leerstand in ehemaligen Geschäften allerdings auch eine Folge aus der vergangenen Politik der Stadt. Statt die Innenstadt zu stärken, seien Einkaufszentren, allen voran die Schlossarkaden geschaffen worden. Diesem Trend gelte es entgegenzuwirken, Ausnahmen, wie etwa beim BraWo-Park dürften nicht mehr gemacht werden.

Dr. Dr. Wolfgang Büchs aus der Fraktion der BIBS macht auch die Ansiedlung von Einkaufszentren, wie die Schlossarkaden für die Probleme der Einzelhändler im Zentrum verantwortlich.
Dr. Dr. Wolfgang Büchs aus der Fraktion der BIBS macht auch die Ansiedlung von Einkaufszentren, wie die Schlossarkaden für die Probleme der Einzelhändler im Zentrum verantwortlich. Foto: BIBS-Fraktion


Ein Konzept muss her, das fordern die Parteien unisono. Das letzte Innenstadtkonzept stammt immerhin aus dem Jahr 1989, zuletzt aktualisiert 2009. Das sei zwar bereits auf dem Weg und die SPD begrüßt, dass Oberbürgermeister Markurth bereits "hart daran arbeitet", die Parteien wollen es allerdings unterschiedlich ausgestaltet sehen. Wo die FDP sich wünscht, dass der Widerstand gegen verkaufsoffene Sonntage verringert werden sollte, will die AfD das Konzept an sich kritischer betrachten. Die CDU fordert dazu "ein Konzept aus einem Guss", ohne einen Flickenteppich an Einzelmaßnahmen. Außerdem sollten mehr Mülleimer und Bänke aufgestellt werden. Immerhin seien gerade samstags immer wieder "überquellende Mülleimer" zu beobachten, die das Aufenthaltserlebnis deutlich schmälerten.

Thorsten Köster und die CDU-Fraktion warnen vor einem Flickenteppich von Regelungen, der einem erfolgreichen Innenstadtkonzept im Weg stehen könnte. Das Konzept müsse
Thorsten Köster und die CDU-Fraktion warnen vor einem Flickenteppich von Regelungen, der einem erfolgreichen Innenstadtkonzept im Weg stehen könnte. Das Konzept müsse "aus einem Guss" entstehen. Foto: CDU


Auch hier ist wieder die Flächennutzung ein Hauptpunkt, den die meisten Parteien ansprechen: Wo für den klassischen Einzelhandel weniger Flächen zur Verfügung stünden, wollen sich die Grünen Gedanken über eine alternative Nutzung machen, die über das Gewerbe hinausginge.
Die SPD schlägt vor, zusätzlich "Pocket Parks" auf überflüssigen Parkplätzen einzurichten. Für die gemeinsame Fraktion von Piraten und Die PARTEI (P2) ist auch die zunehmende Dominanz von Ketten und Filialen ein Problem: Ständig gleiche Sortimente sorgten nicht gerade für Anziehungskraft, auch nicht bei Touristen. Der rein klassische Einzelhandel ist für die P2-Fraktion ohnehin kein zukunftsfähiges Konzept mehr. Das Gebot der Stunde - und dieser Meinung ist nicht nur diese Fraktion - sei Vernetzung und Logistik.

Die Krux mit der Vernetzung


Auch die BIBS kritisiert, dass etwa keine Onlineplattform existiere, auf der Kunden Bestellungen aufgeben könnten, die dann von den jeweiligen Einzelhändlern mithilfe von Logistikunternehmen ausgeliefert würden, wobei die Linken diese Plattform auf familiengeführte Geschäfte beschränken würde. Hier sieht die FDP auch die Unternehmer in der Pflicht. Der Einzelhandel müsse sich anpassen, Lieferservices einrichten, um mit der zunehmenden Konkurrenz mitzuhalten. Letztlich und da sind sich die Freien Demokraten mit der CDU einig, läge das Überleben von Einzelhändlern jedoch in der Hand der Kunden. Das Phänomen im Laden des Testens, nur um dann online zu bestellen, über das viele Einzelhändler klagten, sei weit verbreitet.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen Ratsfraktion Helge Böttcher sieht die Verwaltung in Sachen Innenstadt auf einem guten Weg. Dennoch müssten sich auch Einzelhändler auf die neuen Zeiten einstellen.
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen Ratsfraktion Helge Böttcher sieht die Verwaltung in Sachen Innenstadt auf einem guten Weg. Dennoch müssten sich auch Einzelhändler auf die neuen Zeiten einstellen. Foto: Grüne Ratsfraktion Braunschweig


Für die P2 muss die sogenannte "letzte Meile" teil des Konzeptes werden, also der Weg vom Kauf nachhause. Hier könne mit Logistikkonzepten entgegengewirkt werden. Alle Akteure müssten also an einem Strang ziehen, da besteht seltene Einigkeit von der AfD bis zur Linken. Daran hapere es zuweilen. Der Prozess des Innenstadtdialogs sei hier ein richtiger Schritt, wenn auch nicht der letzte. Die CDU etwa erwartet, dass sich das Bauamt aktiver in den vom Wirtschaftsdezernat und Bürgermeister initiierten Prozess einbringe.

Die SPD bringt zudem neue Veranstaltungskonzepte ins Spiel, die über den umstrittenen verkaufsoffenen Sonntag hinausgingen. Die "Kirmes to go", die in diesem Jahr ihre Premiere feierte, sei ein gutes Beispiel hierfür. Eine Innenstadt der Zukunft müsse zum Verweilen einladen. Gastronomie und Kultur würden in Zukunft deutlich mehr Einfluss gewinnen. Ob sie den Einzelhandel nun nur ergänzten oder über kurz oder lang zum Schwerpunkt würden, das kann nur die Zukunft zeigen. Leerstände müssten bekämpft werden, auch und gerade bei Großimmobilien. Hierbei bringt die CDU ins Spiel, dass im Karstadt am Gewandhaus eine Markthalle entstehen könnte. Karstadt ist jedoch nicht der einzige Ex-Konsumtempel, dem die Kunden ausgegangen sind.

Was tun mit großem Leerstand?


Karstadt am Gewandhaus, die Galeria-Immobilie, das gallische Dorf in der Burgpassage: Leerstand in Großimmobilien ist in den letzten Jahren zum Problem geworden. Was also tun mit Leerstand, der über den einzelnen Laden hinausgeht? Exemplarisch steht hier wohl die ehemalige Galeria-Kaufhof Filiale am Bohlweg: Was einst als Leuchtturm der Shoppingmeile galt, ist nun der neuen Zeit zum Opfer gefallen. Was also tun? Die Vorschläge der Fraktion gehen von der kommunalen Nutzung, zum Co-Working Space, bis hin zum Abriss.

Für Christian Bley aus der gemeinsamen Fraktion von Piraten und DIE PARTEI, ist der klassische Einzelhandel als tragende Säule einer Innenstadt ein Auslaufmodell.[
Für Christian Bley aus der gemeinsamen Fraktion von Piraten und DIE PARTEI, ist der klassische Einzelhandel als tragende Säule einer Innenstadt ein Auslaufmodell.[ Foto: DIE FRAKTION P²


Gerade letzteres ist aber durchaus umstritten. Die BIBS, auf deren Antrag hin das Abreißen von Bestandsgebäuden an strenge Auflagen gebunden wurde, meint, dass die Praxis von Abriss und Neubau "gang und gäbe" sei und die nur einer kleinen Zahl "handverlesener Investoren mit guten Kontakten zur Stadtverwaltung" etwas nutze. Stattdessen solle das Gebäude saniert und nach Möglichkeit öffentlich genutzt werden, etwa durch die städtische Musikschule. Einem Vorschlag, dem sich auch andere Fraktionen nicht verschließen. Zusätzlich bringen die Grünen Museen oder ein Studentenwohnheim in Spiel, während die AfD gleich das ganze neue Rathaus in die Immobilie verlegen will. Auch beliebt, etwa bei FDP und P2, ist die Idee von Coworking Spaces. FDP, CDU und SPD weisen allerdings darauf hin, dass die Entscheidung letztlich auch beim Vermieter liege. Die SPD will den zur Erarbeitung eines Konzeptes ins Boot holen.

Lediglich die CDU kann sich explizit für einen Abriss des ehemaligen Shoppingtempels erwärmen, die AfD will für den Fall am Denkmalschutz schrauben. Ein Neubau, so die Christdemokraten, würde neue Möglichkeiten eröffnen, etwa eine bauliche Verbindung ins Magniviertel. Das fordert auch die P2. In Verbindung mit einem Fahrradparkhaus könnte das einen deutlichen Mehrwert erzeugen. Die Parteien haben vielfältige Ideen, die Umsetzung, auch da sind sie sich einig, läge letztlich beim Besitzer, auch bei anderen Großimmobilien. Bei absehbarem langfristigen Leerstand müsse die Politik jedoch eingreifen. Denn der wäre schädlich für die gesamte Innenstadt.

Artikelserie "Zukunft Innenstadt":


- Teil 1: Bye-bye Autoverkehr?
- Teil 2: Das Ende der Shoppingmeile?
- Teil 3: - dieser Artikel -


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