Vittorio Ventura ist Katané

von Andreas Molau




Vittorio Ventura ist Koch aus und mit Leidenschaft. Von Sizilien nach Niedersachsen, wieder zurück und erneut nach Braunschweig. Eine kulinarische Lebensgeschichte.


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Vittorio Ventura und seine Familie.[/image] Mitternacht – Mezzanotte. Es geht auf die Stunde zu, zu der alles verschwindet und neu entsteht. Die Scheide zwischen Tag und Nacht. Die ersten Takte des Intros von »Una carezza in un pugno« klingen aus den kleinen Lautsprechern. Aus einer Faust kann eine Hand werden, die streichelt und liebkost. »A mezzanotte sai Che io ti pensero ovunque tu sarai…«. Wenn man die Augen schließt, erscheint Adriano Celentano als Bild. Wie er leicht verschmitzt vor dem Mikro, fast nebensächlich, singt. Aber wir sind nicht in Rom oder Mailand. Zwischen seinen Gästen steht Vittorio Ventura in seiner Kochschürze in Braunschweig. Ein Tuch in Piratenmanier um den Kopf gebunden. Er singt vom Versprechen, an jemandem zu denken. Das Restaurant, sein Restaurant Katané, ist angefüllt von guter Laune, von satter Zufriedenheit, von der Seligkeit des Weines, der aus seiner Heimat stammt. Sizilien. Ein paar Wochen nach dem Event, eine Weinprobe mit Menü, treffen wir uns im Katané an der Hagenbrücke. Ventura ist wieder (oder immer noch) in Kochmontur. An einem großen Tisch in der Ecke sitzt die Familie. Frau, Kinder und deren Freunde. Gestikulierender Austausch mit Worten und Händen. »Haben Sie Hunger«, fragt der Meister der Küche und Sänger. Ein Teller Pasta sei schnell zubereitet. Ich hatte leider gegessen aber zum Espresso gibt es feine Schokopralinen. Natürlich selbst hergestellt. Dieser Traum von Italien und besonders von Sizilien, dem viele Deutsche erliegen. Vittorio Ventura kann ihn verstehen. Er weiß heute jedoch auch, warum er seine Heimat als junger Mann verlassen hatte.


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Stilvolle Gastlichkeit im Katané.[/image]

Schön aber nicht funktionstüchtig

Er rühmt die Schönheit des Landes. Die schneebedeckten Berge, den blauen Himmel und das Meer, das üppige verschwenderische Grün, die bunten Farben von Blüten, Früchten und Gemüse. Die Historie, die aus jeder Mauerritze quillt und spannende Geschichten erzählt. Das sei jedoch vor allem Kulisse. Perspektiven für die Menschen seien rar. »Was nutzt Ihnen das wunderbarste Auto, wenn der Motor defekt ist?«, bringt er die Probleme Siziliens auf den Punkt. Inzwischen lebt Vittorio Ventura länger in Deutschland als in der ursprünglichen Heimat. Er schätzt und liebt das nördliche Nachbarland. Hier sind seine Kinder aufgewachsen und haben Freunde gefunden. Sein Sohn tut Dienst bei der Bundeswehr für das neue Heimatland, während der Vater die Militärzeit noch in Italien absolviert hatte. 1979 war er das erste Mal in den kühleren Norden gekommen. Der älteste Bruder und zwei Schwestern hatten ihr Glück schon versucht. Und nun sollte das Nesthäkchen nachkommen. Eine fremde Welt, in der vor allem eines gefragt war, wenn man aus Italien kam: Das gastronomische Können, die Lebensart, für die sich seit jeher die Deutschen über den Brenner aufmachten, um die Sehnsucht nach dem Süden für ein paar Tage oder Wochen zu stillen.


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Der Traum von Sizilien.[/image]

Ziel um Ziel

Bereits seit der Kindheit habe Vittorio Ventura in den Sommerferien alle möglichen Jobs gehabt. »Drei Monate Ferien. Bei elf Kindern wurde die Zeit gleich genutzt, damit man etwas dazu verdienen konnte«, erinnert er sich. Diese Erfahrung sollte ihm später zugutekommen, wenn er ein neues Gastroprojekt auf die Beine stellte. Zuerst am Tresen im Einsatz habe sein erster Brotherr rasch gesehen, wo die Talente des jungen Mannes liegen. Am Herd und im Umgang mit Fleisch, Fisch, Gemüse und alldem, was für einen Augenblick glücklich macht. »Essen ist das Wichtigste überhaupt. Wenn das Essen gut ist, ist alles gut«, sinniert Vittorio Ventura. Wenn es schlecht sei, laufe eben nichts. Woher er das Kochen letztlich gelernt habe? Ventura gibt sich Bescheiden. Natürlich habe er das Kochen nicht erfunden. Immer habe er anderen Köchen zugeschaut, um jeden Tag zu lernen. Und jeden Tag, jede Woche gelte es, sich neue Ziele vorzunehmen und umzusetzen. »Wenn ein Ziel erreicht ist, dann strebe ich das nächste an«, verrät er. Aber neben dem Lernen sei man doch auch durch die Kindheit geprägt worden. Geschmack, die Erinnerung an Aromen sei ganz tief in einem verankert. Und da erinnert sich Vittorio Ventura gern an seine Kindheit.


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Sizilien: Meer und Berge und ein weiter Himmel.[/image]

Der Anfang und Erinnerungen

»Mein größtes Ziel ist es, wie meine Mutter zu kochen«, erzählt er. Die sizilianische Küche, die Geselligkeit des großen Tisches, die er in seinem Restaurant mit dem Kultessen nachempfinden möchte, das zu besonderen Anlässen im Katané zelebriert wird, von der schwärmt der Koch aus Leidenschaft. »Ganz egal, wie wenig unsere Mutter zu Hause hatte. Und sei es nur ein altes Brot. Sie hat etwas Wunderbares daraus gezaubert«, schwärmt er. Und das sei es schließlich, was einen guten Koch auszeichne. Aus wenig viel zu machen, und seine Gäste stets in Erstaunen zu versetzen. »Wenn ich heute in der Küche sehe, dass die Teller leer gegessen sind, dann macht mich das glücklich«, verrät er. Von dieser Philosophie brachte er im Verlauf der aktiven Zeit als Koch immer mehr ein. Und dabei musste Vittorio Ventura Kraft aufwenden. Er probierte Neues und konnte Gewohntes hinter sich lassen. Gleich bei der Ankunft in Deutschland, nach drei Jahren, machte er sich das erste Mal selbstständig. »Da war ich eigentlich noch viel zu jung«, lacht er heute rückblickend.


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Neue Stationen

Aber das Leben gab ihm Gelegenheit zu reifen. Erst einmal ging es zurück in die Heimat zum Wehrdienst. In dieser Zeit lernte er auch seine Frau kennen. Mit der zog es Vittorio Ventura wieder nach Deutschland. Dort unterhielten die beiden zehn Jahre lang einen Pizza-Bringdienst mit dem schönen Namen »Pico Bello«. Nach diesen zehn Jahren wollte seine Frau Daniela zurück nach Sizilien. Im sonnigen Süden eröffneten sie ebenfalls ein Restaurant. Das war im Jahre 2005. Eine Saison probierten die beiden mit den Kindern das Experiment und merkten dann allerdings, dass sie sich doch schon sehr an Deutschland gewöhnt hatten. Also sollte es erneut zurück gehen. Ein Bekannter hatte eine geschäftliche Partnerschaft angeboten. Die Familie wagte den Neuanfang. Woher er die Kraft genommen habe. Immer wieder von vorn anzufangen? Vittorio Ventura zögert nicht lange und verrät sein Geheimnis: »Ich bin Sizilianer. Wir haben ein Lebensmotto. Man darf niemals aufgeben im Leben. Es gibt einen Tag, wo man tatsächlich aufgeben muss. Aber den bestimmen nicht wir, sondern Gott.« Bis dahin müsse man sich im Leben einrichten und das Beste aus der Situation holen.

Das Katané und das Ideal guten Essens

Sonst hätte er es wohl auch nicht geschafft, jetzt endlich in Braunschweig einen festen Hafen zu finden. Denn die Station nach dem Italienintermezzo in Peine sollte ebenfalls nicht dauerhaft sein. Mit dem Partner stimmte die Chemie bald nicht. Und es zeigte sich. Vittorio Ventura brauchte einen Raum, in dem er ganz allein seine Ideale vom Kochen verwirklichen konnte. Und das ist das Katané. Hier wolle er nicht das servieren, was man überall bekäme. Vielmehr solle es immer Neues geben, Überraschendes. Etwas, was ihn selbst herausfordert und die Gäste erfreue. Seine Frau Daniela transportiert diese Ideen im Service und selbst wenn die Familie nicht mit in die Gastronomie einsteigt. Wenn es rundgeht an der Hagenbrücke, dann sind alle da. Und wenn Papa am Mikro steht und die Mitternacht besingt, ahnen die Gäste, dass es die Traumheimat im Süden geben mag. Aber vor allem die Heimat, wo die Familie ist und Freunde, die man liebt und für die man da ist. Für Vittorio Ventura sind das auch all die Gäste, die die schönen Stunden bei ihm Katané verleben, die essen und genießen. Ein wenig so, wie es bei ihm zu Hause zugegangen sein mag, wenn die »Mama« die dampfende Auflaufform mit Makkaroni, Auberginen und alldem aus dem Ofen holte, was auf dem Markt zu bekommen war. Und wann sollte man daran besser denken als zur Mitternacht – Mezzanotte.


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