Der Duft warmen Gebäcks

von Sina Rühland


| Foto: Sina Rühland



Wolfenbüttel. An Trüffeln, Pralinen, Keksen und Torten-Variationen vorbei geblickt, steht eine zierliche Frau hinter der alten Klingelkasse. Es ist Bärbel Niebuhr. Sie ist Wolfenbüttels bekannteste Konditorin und Inhaberin der Patisserie „Omi´s Backstube“.

Wenn Bärbel Niebuhr nach sechs Stunden Schlaf morgens erwacht und auf den Wecker neben ihrem Bett blickt, stehen die Zeiger meist bei 3.30 Uhr. Zeit, um aufzustehen. Ihr Tag hätte schon immer so zeitig anfangen, doch es mache ihr nichts aus, erzählt sie. Während sie auf dem antiken Stuhl in ihrem kleinen Fachwerk-Café sitzt, hat sie immer ein Auge auf das Wohl ihrer Kunden. „Alles gut? Darfs noch was sein?“ Sie schaut sich um. Jeden Stuhl, jeden Tisch, jede Gardine und jeden Blumenstrauß hat sie selbst ausgesucht und platziert. Keine Wand ist gerade, keine Türrahmen höher als 1,70 Meter. „Es ist eben voll und ganz mein Lädchen“, sagt sie und lacht. Stolz zeigt Bärbel Niebuhr auf die alte Sitzbank in der Ecke, eine ihrer neuesten Errungenschaften, die mit alten Kaffeemühlen dekoriert ist. Als sie beginnt von den Anfängen der Backstube zu erzählen, gießt sie dampfenden Kaffee nach.

Backstube, wie zu Omis Zeiten


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Torten nach Großmutters Rezepten. Foto: Sina Rühland



„Ich hatte diese Vision, ein eigenes Lädchen aufzumachen, in dem es allerlei süße Köstlichkeiten geben sollte. Mein Mann und ich hörten von diesem leerstehenden Laden, ich machte einen Termin mit dem Vermieter und sah ihn mir an. Ein paar Quadratmeter unter den Krambuden, vollgestellt mit altem Plunder und einem Mofa. Sofort habe ich gewusst – das ist mein Lädchen.“ Nach einigen Wochen der Renovierung öffnete Bärbel Niebuhr im September 2013 die Tür zu Omis Backstube. Die Auslagen sind gefüllt mit handgemachten Pralinen, selbstgebackenen Torten und Petit Four: ein Kaufmannsladen für Feingebäck. Täglich steht die 63-Jährige daheim in ihrer Küche, mischt, bäckt, formt und gießt. „Meine Großmutter hat mit das Backen beigebracht und ich habe die Rezepte weiterentwickelt“, erzählt sie.

Gelernt hat Niebuhr 1966 den Beruf der Einzelhandelskauffrau. „Ich habe in einem Kolonialwarengeschäft in Wendessen gearbeitet: Mehl abwiegen, Heringe in Salz einlegen. Die Kasse bestand nur aus einer Schublade und gerechnet hat man auf einem Zettel.“ Ihren Mann hat sie dann 1971 kennengelernt. „Wir haben gemeinsam in Braunschweig bei Telefunken gearbeitet. Er war mir gleich aufgefallen, weil immer diese rote Cordhose trug. Irgendwann haben wir festgestellt, dass wir nur wenige Kilometer von einander entfernt wohnten. Er in Linden und ich in Wendessen.“ Gemeinsam hat das Paar drei Söhne großgezogen, mehrere Tante Emma-Läden geführt und die Backstube eröffnet.

 Leben und Abschied


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Die 63-Wolfenbüttelerin erzählt aus ihrem Leben. Foto: Sina Rühland



Wie das bei einem 14-Stunden-Arbeitstag so ist, alleine ist Bärbel Niebuhr eher selten. Genaugenommen ist immer jemand um sie herum, ob in der Backstube, oben im Café oder daheim. Zwei ihrer Söhne leben in separaten Wohnungen in ihrem Haus, einer von ihnen hat eine starke Lernbehinderung. „Mein Sohn hatte mit zwei Jahren einen schweren Unfall. Beim Spielen ist er vom Bett aus auf die Fensterbank geklettert, ist gegen das Fenster gekommen und es hat sich geöffnet. Er ist fünf Meter in die Tiefe gefallen.“ Schädelbasisbruch, sechs Wochen Intensivstation. Sitzen, gehen, sprechen – der Kleine konnte gar nichts mehr. „Es hat viele Monate gedauert, wir mussten ihm ja alles neu beibringen. Heute kommt er allerdings wunderbar zurecht. Er hat Arbeit, eine Freundin und ist zufrieden.“ Nachdem Bärbel Niebuhr den nächsten Satz beendet hat, kommt man nicht umher an Schutzengel zu glauben. Der selbe Sohn hatte elf Jahre später erneut einen schweren Unfall – ein Müllwagen erfasste ihn beim Fahrrad fahren. Wieder hat er überlebt.
„Erst kürzlich hat mein Sohn sein 25-jähriges Jubiläum bei der Feuerwehr gefeiert und ist dolle stolz.“

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Bärbel Niebuhr gemeinsam mit ihrem Ehemann Gerhard Niebuhr bei der Eröffnung von Omis Backstube. Foto: Thorsten Raedlein/Archiv



Über vier Jahrzehnte hat das Ehepaar Niebuhr also gemeinsam Freud und Leid geteilt. Sie haben gemeinsam gearbeitet, gemeinsam gelebt und gemeinsam Visionen umgesetzt – bis Gerhard Niebuhr im vergangenen Herbst seiner Krebserkrankung erlag. Wenn Bärbel Niebuhr von ihrem Mann spricht, dann wandert ihr Blick in die Ferne. „Mein Mann hat immer alles selber gemacht. Habe ich ihn im Baumarkt gesucht, so war ich gewiss, ihn in der Schraubenabteilung zu finden. Dort stand er dann und suchte nach dieser einen bestimmten Schraube.“ Sie beginnt zu lächeln. Er sei ihr Pendant gewesen, erzählt sie. „Im Juli 2014 ist er ins Krankenhaus gekommen, einige Woche später erhielt ich den Anruf, dass ich mich nun verabschieden solle. Mein Mann ist in dieser Nacht in meinem Arm eingeschlafen.“

Sechs Monate später kann Bärbel Niebuhr darüber sprechen. Sie sagt sich, dass es nur zwei Wege für sie gibt: untergehen und sich selbst bemitleiden oder sein Leben selbst in die Hand nehmen. Und eigentlich hat sie letzteres ja schon immer getan. Was sie sich vornahm, das klappte auch. In ihrer kleinen Backstube möchte sie nun so lange ihre handgemachten Pralinen und Kekse verkaufen, wie der Duft des Gebäcks sie eben trägt.


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