Gott mit anderen teilen




Wolfenbüttel/Braunschweig. Gott begegnet uns in der Hilfsbedürftigkeit anderer Menschen. Daran hat Landesbischof Friedrich Weber in seiner Weihnachtspredigt am Heiligen Abend im Braunschweiger Dom erinnert.

Wer versuche, Gott für sich selbst zu behalten, stehe in der Gefahr, ihn zu verlieren, warnt er: „Gott möchte in unserer Welt geteilt werden, nur so retten wir etwas vom himmlischen Jubel über Bethlehem auch für unsere Zeit und Welt.“ So begegne uns Gott zum Beispiel in den Flüchtlingen aus Syrien oder Afrika.

Kritik übte Weber an der Auffassung, eine Flucht aus wirtschaftlicher Not habe keine Berechtigung: „Als ob man durch die Folgen des Wirtschaftens nicht auch umkommen könnte.“ Er lobte die Initiativen zugunsten von Flüchtlingen auch in der Landeskirche Braunschweig. Hier habe die Menschlichkeit das entscheidende Wort, weil die Würde des Menschen unabhängig von Geschlecht, Religion, Hautfarbe und Herkunft geachtet werde.

Der Landesbischof ermutigte die Zuhörerinnen und Zuhörer im Dom, anderen Menschen mit Barmherzigkeit zu begegnen, auch wenn sie manchmal den Eindruck hätten, kaum etwas an den Verhältnissen in dieser Welt ändern zu können. Der Satz „Man kann ja doch nichts machen“ sei ein gottloser Satz. Stattdessen könne jeder etwas tun, „dass die Herrlichkeit Gottes, die im Stall von Bethlehem erstrahlte, unter uns sichtbar wird“. Es sei entscheidend, den Menschen neben uns zu sehen und für ihn einzutreten.

Die Weihnachte-Predigt im Wortlaut:







Liebe Gemeinde!

Wir sind im Dom. Und wir sind hier, weil wir wissen: diese Nacht ist anders als die anderen. Diese Nacht hat ein Geheimnis, das unser Denken und Ergründen übersteigt. Wir wissen das, obwohl Gott in unserer Welt rar geworden zu sein scheint. Ja, Gott kann rar werden.

Don Valentino hat es erlebt. Es war Heiligabend. Er bereitete im Dom die Christmette vor als es an die Domtür klopft. „Wer klopft am Weihnachtsabend an die Domtür“, fragte sich Don Valentino. „Haben die Leute noch nicht genug gebetet?“ Mit diesen Worten ging er öffnen, und mit einem Windstoß trat ein zerlumpter Mann herein. „Wieviel von Gott ist hier?“ rief er lächelnd aus und sah sich um. „Wieviel Schönheit! Man spürt es sogar von draußen. Hochwürden, könnten Sie mir nicht ein wenig da- von abgeben? Denken Sie, es ist der Heilige Abend.“ „Das gehört seiner Exzellenz, dem Erzbischof“, antwortete der Priester. „Er braucht es in wenigen Stunden.“

„Und auch nicht ein kleines bisschen könnten Sie mir geben, es ist soviel davon da!“ „Nein, habe ich gesagt ... du kannst gehen ... der Dom ist für die Allgemeinheit ge- schlossen.“ – Und er geleitete den Armen mit einem Fünf-Euro-Schein hinaus. Aber als der Unglückliche aus der Kirche hinausging, verschwand im gleichen Augenblick auch Gott. Bestürzt schaute sich Don Valentino um und forschte in den dunklen Ge- wölben; selbst da war Gott nicht mehr. Und in ein paar Stunden sollte der Erzbischof kommen. In höchster Erregung öffnete Don Valentino eine der äußeren Pforten und blickte auf den Platz. Nichts. Auch draußen keine Spur von Gott, wiewohl es Weihnachten war.“

Verzweifelt macht sich der Priester auf die Suche nach Gott. So kommt er schließlich zu einer ihm bekannten Familie, die sich gerade an den Weihnachtstisch setzen will. Freudig wird der Priester begrüßt und eingeladen. Doch als er sie darum bittet, Gott mit ihm zu teilen, weil durch seine Unachtsamkeit Gott den Dom verlassen habe, möchte der Vater, um seiner Kinder willen, Gott nicht teilen – schließlich sei ja Weih- nachten. Und im gleichen Augenblick schlüpft Gott aus dem Haus und der weihnachtliche Glanz, der die Menschen umgab, verlischt. Don Valentino ist verzweifelt.




Gleich würde der Erzbischof den Dom betreten, den Gott verlassen hatte. So läuft und läuft er durch die Straßen, Gott scheint seltener zu werden, denn wer etwas von Gott besitzt, will es nicht teilen.

Schließlich sieht er in der Ferne Gott wie eine leuchtende sanfte Wolke. Er wirft sich in den Schnee und bittet Gott auf ihn zu warten. Er öffnet das Tor einer Kirche in der er einen Priester beten sieht. Am Ende seiner Kraft bittet er ihn, dass er seinen Gott mit ihm teilen möge. Als dieser sich umdreht, erkennt er seinen Erzbischof, der ihm fröhlich zuruft: „Ein gesegnetes Weihnachten dir, Don Valentino!“ Und der Erzbischof war ganz von der Herrlichkeit Gottes ganz umgeben.

Was ist mit Don Valentino in dieser Nacht geschehen? Er ist auf seiner Suche ein anderer geworden, weil er gelernt hat, dass Gott nicht festzuhalten ist, aber dort gefunden werden kann, wo wir ihn suchen. Gott möchte in unserer Welt miteinander geteilt werden, nur so retten wir etwas vom himmlischen Jubel über Bethlehem auch für unsere Zeit und Welt.

Auch in Bethlehem machten Menschen sich auf den Weg, um ein neugeborenes Kind zu suchen, ohne zu wissen, dass ihnen in ihm Gott selbst begegnen würde. Wo begegnen wir ihm heute? In dem Kind, das in einem windigen Zelt im Flüchtlingslager in Jordanien geboren wird und nur überlebt hat, weil seine Eltern vor dem Giftgas geflohen sind? Begegnet er uns in einem Flüchtling aus den Hungerzonen Afrikas, der oder die sich auf den mühsamen Weg nach Europa gemacht hat, um zu überleben und der nun das Wort „Wirtschaftsflüchtling“ entgegenschallt?

Als ob man an den Folgen des Wirtschaftens nicht auch umkommen könnte. Papst Franziskus beklagte im Juli dieses Jahres bei seinem Besuch in Lampedusa als er für die Flüchtlingen betete und der auf der Flucht Umgekommenen gedachte, von der Globalisierung der Gleichgültigkeit, die wegschauen läßt. Mit globaler Geschwister- lichkeit müsse man ihr entgegnen.

Begegnet er in dem Geschenk eines Kindes hier bei uns, im Geschenk eines Enkelkindes vielleicht, so zart, so herbeigesehnt und jetzt in unserer Mitte? Wer das Geschenk neuen Lebens sieht und in ihm nicht auch das Wunder des Lebens entdeckt – wie arm, wie oberflächlich bleibt er angesichts dieses Geschehens.

Man kann Gott verlieren und dann lauthals darüber lamentieren, dass er sich rar gemacht habe, dass es keine Gotteserfahrungen mehr gäbe in unserer Welt und Zeit.




Dann steht im Kalender Weihnachten, aber die Heilige Nacht unseres Lebens verpassen wir. Man kann Gott rar machen in seinem Leben. Und nicht selten beginnt das mit dem Satz, der auch mir nicht fremd ist: „Was soll ́s, da kann man ja doch nichts machen“ oder „Glauben Sie wirklich, das ändert was?“

Ja, es ändert was, wenn hier am Dom für äthiopische Kinder gesammelt wird und wenn in unserer Landeskirche, in Lelm, Mitglieder des Kirchenvorstandes und des Ortsrats sich um 15 Afrikaner sorgen, die als Flüchtlingen in die kleine Gemeinde zugewiesen wurden. Ja, ich glaube das, weil in Lelm und anderswo eben nicht nur Spenden gesammelt, Sprachunterricht erteilt wird und sich der Sportverein öffnet, um den Flüchtlingen das Leben in der Fremde zu erleichtern, sondern weil hier Menschlichkeit, Nächstenliebe das entscheidende Wort hat, weil die Würde eines Menschen unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Religion, seiner Hautfarbe und seiner Herkunft geachtet wird.

„Man kann ja doch nichts machen“, ist ein gottloser Satz. Einer, der nicht mehr daran glaubt, dass eine andere Welt möglich ist. Eine Welt, die in jener Nacht in Bethlehem ihren Anfang nahm. Als ein Kind geboren wurde, von dem es heißt, dass es als Mann die Verloren sucht und ihnen nahe ist.

Da mögen so viele auf dem am Boden Liegenden noch einmal herumtrampeln, er wird das geknickte Rohr nicht zerbrechen. Da mögen noch so viele sagen: „Was soll ́s, da kann man doch nichts machen.“ Er wird für jeden einzelnen eintreten, ihn in seiner unverletzlichen Würde achten. Wo das nicht mehr geschieht, da wird Gott rar in unserer Welt, da herrschen andere Mechanismen, der Markt als letzte Begründung für alles Handeln oder für vermeintliche Handlungszwänge. Die Vergötzung des Geldes und des Erfolgs, die von denen, die nicht mehr mitkommen, nur noch von Verlierern reden.

Unsere Sprache ist verräterisch. Indem wir afrikanischen Flüchtlingen als Wirt- schaftsflüchtlingen bezeichnen, haben wir ein Erklärungsmuster zur Hand, das uns davon entlastet, uns tiefer mit den Ursachen des Elends dort zu beschäftigen. Und mitunter geht es ja auch ganz schnell, wenn einer nach einer neuen Heimat sucht und plötzlich alle Ampeln auf „Grün“ stehen. Ich freue mich für ihn, aber ...

Man kann etwas dafür tun, dass die Herrlichkeit Gottes, die im Stall von Bethlehem erstrahlte, unter uns sichtbar wird. Vielleicht so, wie es in einer anderen Geschichte




geschildert wird: „Ein alter Mann, der bei Sonnenuntergang den Strand entlang ging, sah vor sich einen jungen Mann, der Seesterne aufhob und ins Meer warf. Nachdem er ihn eingeholt hatte, fragte er ihn, warum er das denn tue. Die Antwort des ande- ren: „ Die Seesterne werden sterben, wenn sie bis Sonnenuntergang hier liegen bleiben müssen."







„Aber der Strand ist viele Meilen lang, und Tausende von Seesternen liegen hier", meinte der Alte. „Was macht das also für einen Unterschied, wenn du dich hier abmühst?' Der junge Mann blickte auf den Seestern in seiner Hand und warf ihn in die rettenden Wellen. Dann meinte er: „Für diesen hier macht es einen." Es macht einen Unterschied für den Menschen neben uns, unseren Nächsten hier oder dort, ob wir ihn sehen und für ihn eintreten. Und es macht einen Unterschied, ob jemand uns sieht und für uns eintritt.







Und es macht auch einen Unterschied für uns und unsere Gotteserfahrungen. Denn von Gott ist nicht mehr viel dabei, wenn das Erbarmen und die Barmherzigkeit aus dem Leben und aus der Kirche geworfen werden wie der Bettler aus dem Dom in der Geschichte von Dino Buzzati. Dann verschwindet Gott gleich mit.

Was sehen wir in dieser Nacht? Können unsere Augen Gottes Herrlichkeit sehen? Heute Abend erhellen die Kerzen unseren Dom. Sie nehmen dem Dunkel die Schärfe. Aber sie verzehren sich dabei. Vielleicht hilft uns dies Bild zu einem Zugang zu dem, was "Herrlichkeit Gottes" bedeutet: So wie sich die Kerzen verzehren, damit wir es hell haben, so verzehrt sich im Kind in der Krippe, im Jesus aus Nazareth, im Mann am Kreuz Gott für uns. "Herrlichkeit Gottes" in unserer Welt heißt: Gott hat es sich etwas kosten lassen, ganz nahe bei uns zu sein. Er hat es sich seinen Sohn kosten lassen. Mit Weihnachten beginnt das neue Programm der Liebe Gottes für seine Welt.

Ja, diese Nacht hat ein Geheimnis wie sonst keine Nacht. Möge Gott uns dazu hel- fen, dass wir nicht nur die Lichter und Lampen, nicht nur Sonne und Mond, sondern ihn selbst sehen. Amen.













mehr News aus Wolfenbüttel


Themen zu diesem Artikel


Kindertagesstätte Kirche