Wolfenbüttel: Stadt Wolfenbüttel legt Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg ein - Hilfsweise eine Verlegung der NPD Kundgebung auf den Schützenplatz beantragt

von Marc Angerstein


| Foto: Marc Angerstein)



Mit Datum von heute hat Bürgermeister Thomas Pink im Namen der Stadt Wolfenbüttel Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig (WolfenbüttelHeute.de berichtete) bezüglich der geplanten NPD Kundgebung auf dem Stadtmarkt (WolfenbüttelHeute.de berichtete) beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg eingereicht. Darin beantragt er die Aufhebung des richterlichen Beschlusses sowie hilfsweise eine Abänderung des Beschlusses dahingehend, dass die in Rede stehende Versammlung nicht auf dem Stadtmarkt Wolfenbüttel (Süd-Ost-Seite), sondern auf dem Schützenplatz in Wolfenbüttel stattfindet. 

Wir veröffentlichen die Beschwerde an dieser Stelle im Wortlaut:





Sehr geehrte Damen und Herren,

gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 04.01.2013 in der o.g. Verwaltungsrechtssache (Az. 5 B 10/13) lege ich

Beschwerde

ein und beantrage die Aufhebung des vorgenannten Beschlusses.

Hilfsweise beantrage ich eine Abänderung des Beschlusses dahingehend, dass die in Rede stehende Versammlung nicht auf dem Stadtmarkt Wolfenbüttel (Süd-Ost-Seite), sondern auf dem Schützenplatz in Wolfenbüttel stattfindet.

Begründung

Gemäß § 146 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erhebe ich Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig in der o.g. Verwaltungsrechtssache und beantrage die Aufhebung dieses Beschlusses, um die Wirksamkeit der sofortigen




Vollziehung der Untersagungsverfügung der Stadt Wolfenbüttel vom 04.01.2013 wiederherzustellen und die aufschiebende Wirkung der Klage 5 A 9/13 entfallen zu lassen.

Der Beschwerdegegner meldete mit Telefax vom 31.12.2012 für den NPD Landesverband Niedersachsen eine Kundgebung auf dem Stadtmarkt in Wolfenbüttel für Montag, dem 07.01.2013, in der Zeit von 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr zum Thema „Wir wollen nicht Zahlmeister Europas sein - Raus aus dem Euro“ an. Die von mir vertretene Stadt Wolfenbüttel untersagte als zuständige Versammlungsbehörde diese Kundgebung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO mit Verfügung vom 04.01.2013 (Anlage 1). Gegen diese Verfügung erhob der Beschwerdegegner Anfechtungsklage und begehrte im Hinblick auf die erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehung vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO. Das Verwaltungsgericht Braunschweig - 5. Kammer - entschied mit Beschluss vom 04. Januar 2013 (Anlage 2) die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage mit der Maßgabe, dass die Versammlung mit einer Gesamtdauer von einer Stunde (der Antragsgegner hatte die Kundgebung mit einer Gesamtdauer von drei Stunden angemeldet) auf dem Stadtmarkt Wolfenbüttel nur im Bereich der Süd-Ost-Seite (der Antragsgegner hatte die gesamte Fläche des Stadtmarkts für die Kundgebung begehrt) stattfindet. Im Übrigen wurde der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

Das Verwaltungsgericht hatte im Rahmen dieser Entscheidung dem privaten Interesse an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs Vorrang vor dem besonderen öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes eingeräumt, da das Gericht auf der Grundlage der summarischen Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die angefochtene Verfügung als voraussichtlich rechtswidrig bewertete.

Diese Bewertung einer voraussichtlichen Rechtswidrigkeit der Untersagungsverfügung begründet das Verwaltungsgericht Braunschweig damit, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Niedersächsisches Versammlungsgesetz (NVersG), wonach die Durchführung der Versammlung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders als durch ein Verbot der Versammlung abgewehrt werden kann, im vorliegenden Fall nicht erfüllt wären und das Versammlungsverbot unverhältnismäßig sei.

Im Wesentlichen führt das Gericht aus, dass sich aus dem Motto der streitgegenständlichen Versammlung keine Anknüpfungspunkte ergäben, dass auch Ziele der NPD in Bezug auf Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit propagiert werden sollen und Verstöße gegen §§ 86, 86a und 130 StGB zu erwarten seien. Es spiele auch keine Rolle, dass die erneute Initiierung eines Verbotsverfahrens mit hoher Wahrscheinlichkeit bevorsteht, da die NPD gegenwärtig nicht verboten ist und sich damit auf die Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG) berufen könne.

Das Verwaltungsgericht hat im Wege der praktischen Konkordanz die widerstreitenden Interessen abgewogen und die Versammlung unter einer zeitlichen und räumlichen Einschränkung zugelassen. So sei es nach Auffassung des Gerichts unter Berücksichtigung aller Umstände vertretbar, dass die Versammlung der NPD am kommenden Montag für die




Gesamtdauer von einer Stunde auf der Süd-Ost-Seite des Wolfenbütteler Stadtmarktes stattfindet.

Aus Sicht der Stadt Wolfenbüttel wird unverändert ein Versammlungsverbot auf der Grundlage des § 8 Abs. 2 NVersG für rechtlich tragfähig und erforderlich erachtet, da die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der vorgesehenen Versammlung auch unter Berücksichtigung der vorgenannten, durch das Verwaltungsgericht verfügten Beschränkungen unmittelbar gefährdet ist.

Dieses ergibt sich mit Bezug auf und in Ergänzung zu den Ausführungen der Untersagungsverfügung zum Einen daraus, dass die NPD am 07.01.2013 nahezu zeitgleich jeweils eine Versammlung in Braunschweig und in Wolfenbüttel plant, die in den beiden Städten entsprechende Gegendemonstrationen mit einer erheblichen Teilnehmerzahl erwarten lassen, was wiederum einen massiven Einsatz polizeilicher Kräfte an beiden Orten erfordert, der insbesondere dadurch erschwert wird, dass Teilnehmer der NPD-Versammlung wie auch Gegendemonstranten zwischen beiden nahe beieinander liegenden Städten auch unter Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel „pendeln“ und sich die Personengruppen damit nicht nur unmittelbar am Versammlungsort begegnen können. Diese konkrete Sachlage birgt eine Gefahr für hochrangige subjektive Rechtsgüter Einzelner, wie Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum, deren Abwehr nicht jederzeit und damit nicht vollumfänglich durch den Einsatz polizeilicher Sicherheitskräfte gewährleistet werden kann.

Weiterhin wird der Auffassung des Verwaltungsgerichts Braunschweig, das Motto der streitgegenständlichen Versammlung „Wir wollen nicht der Zahlmeister Europas sein - Raus aus dem Euro“ liefere keine Anhaltspunkte für die Propagierung strafbewährter antisemitischer und/oder ausländerfeindlicher Parolen ausdrücklich widersprochen. Eine Vielzahl entsprechender Versammlungen in der Vergangenheit haben bundesweit gezeigt, dass sich Vertreter der NPD bei ihren Kundgebungen keinesfalls auf das von ihr selbst formulierte Sachthema beschränken, sondern dieses im Vorfeld vielmehr bewusst als rechtlich zulässigen „Aufhänger“ benennen, um dann im Rahmen der Durchführung der Versammlung mit allenfalls losen Bezug darauf die eigentlichen Botschaften, die im Kern nationalsozialistische, ausländerfeindliche und antisemitische Inhalte enthalten, zu verkünden. Die Anknüpfung an die seit geraumer Zeit in der öffentlichen Debatte stehende europäische Gemeinschaftswährung wird in der geplanten Versammlung mit hoher Wahrscheinlichkeit - und dieses ist für die gesetzlich gebotene Gefahrenprognose ausreichend - wiederum dazu führen, dass die von Seiten der NPD bekannten verfassungswidrigen und strafrelevanten Meinungsäußerungen erfolgen werden. Insoweit besteht auch eine unmittelbare Gefahr für das Schutzgut der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung.

Darüber hinaus ist im Falle der Durchführung der Kundgebung auf dem Stadtmarkt - trotz der durch das Verwaltungsgericht Braunschweig vorgegebenen zeitlichen und räumlichen Beschränkung der Versammlung - nach wie vor eine wesentliche Störung der Briefwahl gegeben. Diese umfasst sowohl die uneingeschränkte Gewährleistung eines Zugang für Briefwähler zum Briefwahlbüro im Rathaus als auch das nach § 24 Abs.2 Niedersächsisches Landeswahlgesetz (NLWG) normierte Verbot einer unzulässigen Beeinflussung der Wähler.




Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Fläche des Stadtmarktes zwar regelmäßig für den Wochenmarkt, den Weihnachtsmarkt sowie andere Veranstaltungen (Weinfest u.ä.) genutzt wird, diese aber seit 1996 nicht mehr für politische Kundgebungen zur Verfügung gestellt wird. Dieses gilt insbesondere im Vorfeld von Wahlen. Die zur Landtagswahl zugelassenen Parteien erhalten auf Antrag selbstverständlich entsprechende Genehmigungen zur Sondernutzung für die Aufstellung von Wahlständen zur Parteienwerbung in der Innenstadt, allerdings werden diese Flächen, nicht auf dem Stadtmarkt, sondern in der benachbarten Fußgängerzone ausgewiesen. Der unmittelbar vor dem Rathaus gelegene Stadtmarkt ist insoweit ein „wahlkampffreier“ Platz. Auch durch die vorgesehene Durchführung der Versammlung auf einer Teilfläche des Stadtmarktes werden die in der Untersagungsverfügung bezeichneten Störungen für Briefwähler nicht beseitigt. Eine Festlegung des Versammlungsortes an der Süd-Ost-Seite des Stadtmarktes führt neben einer massiven Beeinträchtigung des Dienstbetriebs des dort befindlichen Standesamtes dazu, dass der Zugang vom Verkehrsknotenpunkt Kornmarkt (zentrale Busstation) zum Rathaus unterbrochen wird. Aber selbst wenn eine Person zum Zwecke des Aufsuchens des Briewahlbüros einen der anderen Wege über den Stadtmarkt zum Rathaus wählt (z.B. über die im Nordosten gelegene Kanzleistraße), wird diese Person zwangsläufig den Ablauf und die Inhalte dieser Versammlung bemerken. § 24 Abs. 2 NLWG sieht aber während der Wahlzeit vor, dass in und an dem Gebäude, in dem sich der Wahlraum befindet, sowie unmittelbar vor dem Zugang zu dem Gebäude jede Beeinflussung des Wähler durch Wort, Ton, Schrift, Bild oder sonstige Darstellungen sowie jede Unterschriftensammlung verboten ist. Im vorliegenden Fall sind gegen dieses Verbot verstoßende Beeinflussungen der Wähler nicht ausgeschlossen, wenn die Versammlung wie vorgesehen stattfinden soll. Entsprechende Wahlanfechtungen wurden bereits angekündigt.

Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände erscheint daher allein ein Verbot der in Rede stehenden Versammlung zur Abwehr der unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit geboten.

Soweit das Beschwerdegericht dieser Auffassung nicht folgt und ein umfassendes Verbot der Versammlung als unverhältnismäßig erachtet, beantrage ich, die Versammlung unter Beibehaltung der Gesamtdauer von einer Stunde nicht auf dem hiesigen Stadtmarkt, sondern auf dem Schützenplatz in Wolfenbüttel stattfinden zu lassen. Aus den vorgenannten Gründen kann der Stadtmarkt für die Durchführung der Versammlung nicht zur Verfügung gestellt werden. Der Schützenplatz befindet sich – abweichend von den Ausführungen des Verwaltungsgerichts Braunschweig –

durchaus im Kernstadtgebiet Wolfenbüttels. Die Entfernung vom Stadtmarkt beträgt lediglich 2 km, der Platz wird regelmäßig für größere Veranstaltungen (Festveranstaltungen, Zirkus etc.) genutzt, ist den Bürgerinnen und Bürgern Wolfenbüttels bekannt und trägt aufgrund seiner Größe dazu bei, dass die Kundgebung dort auch unter Berücksichtigung einer Gegendemonstration unter Begleitung der polizeilichen Sicherheitskräfte stattfinden könnte. Der Schützenplatz ist somit keineswegs ein außerhalb der Kernstadt liegender, der Öffentlichkeit entzogener Ort. Mit Blick auf diese Rahmenbedingungen ist nicht zu erkennen, dass die Öffentlichkeitswirkung der geplanten Versammlung im Falle der Festlegung dieses Versammlungsortes unzumutbar herabgesetzt würde.




Mit Bezug auf die Rechtsmittelbehrung des gerichtlichen Beschlusses vom 04.01.2013 wird diese Beschwerde angesichts der Eilbedürftigkeit der Verwaltungsrechtssache sowohl dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg als auch dem Verwaltungsgericht Braunschweig zugeleitet.

Mit freundlichen Grüßen

Pink

Bürgermeister
















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