Strafmündigkeit: Braucht Deutschland eine Gesetzesreform?

Nach dem Mord an einer Teenagerin in Salzgitter, könnte einer der mutmaßlichen Täter ohne Strafverfahren davonkommen, weil er Strafunmündig ist.

von


Sollte das Alter der Strafmündigkeit herabgesetzt werden?
Sollte das Alter der Strafmündigkeit herabgesetzt werden? | Foto: Rudolf Karliczek

Salzgitter. In der vergangenen Woche kam es in Salzgitter-Fredenberg zu einem grausamen Verbrechen. Eine 15-jährige Schülerin wurde tot auf einer Grünfläche gefunden. Mutmaßliche Täter sollen zwei Teenager, 13 und 14 Jahre alt, sein. Die Tatsache, dass der 13-Jährige nicht strafrechtlich belangt werden kann, sorgt in der Bevölkerung für Fassungslosigkeit. Der Ruf nach einer gerechten Strafe, trotz des jungen Alters wurde laut. Nun schaltet sich auch Niedersachsens CDU-Chef Bernd Althusmann ein und fordert eine Debatte über das Mindestalter der Strafmündigkeit.



Während sich der 14-jährige mutmaßliche Täter in Untersuchungshaft befindet, wurde der 13-Jährige in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Sein Fall fällt in die Zuständigkeit des Jugendamtes, mit 13 ist er zu jung, um juristisch belangt zu werden. Strafmündig ist erst, wer älter als 14 ist. Unter den regionalHeute.de-Lesern wurde in den vergangenen Tagen hitzig darüber diskutiert, wie der Junge bestraft werden sollte. Bis auf wenige Ausnahmen wurde auch für ihn eine Anklage und Verurteilung wegen Mordes gefordert. Und eine Herabsetzung des Alters im Jugendstrafrecht. Auch Althusman hatte gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk gefordert, dass eine Debatte um das Alter der Strafmündigkeit geführt werden müsste.

Strafmündigkeit immer wieder mal Thema


Die Frage, ob diese Altersgrenze infolge grundlegend veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse noch der Realität entspricht oder nicht vielmehr einer Überprüfung bedarf, sei insbesondere in den letzten Jahren aufgrund der angestiegenen Zahl der sogenannten Kinderdelinquenz immer wieder Teil der politischen Diskussion, teilt das Niedersächsische Justizministerium auf Nachfrage von regionalHeute.de mit.

"Allerdings vermag allein eine deutliche Zunahme der Kinderdelinquenz eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters nicht zu begründen. Die Reaktion mit den Mitteln des Jugendstrafrechts setzt voraus, dass im Einzelfall bei dem betroffenen jungen Täter die strafrechtliche Verantwortlichkeit vorhanden ist. Eine Gesetzesänderung würde sich somit nur dann als sinnvoll erweisen können, wenn eine beträchtliche Anzahl von Personen im Alter von 12 und 13 Jahren die nötige Strafreife besäße", erklärt Hans-Christian Rümke vom Justizministerium.

Maßgebend dabei sei, ob der Reifungsprozess bei der heutigen Generation der 12- und 13-Jährigen unter Umständen früher einsetzt, als dies bei Entstehung der geltenden Regelung im Jahr 1923 noch der Fall gewesen ist. Nur dann werde man die Frage nach einer entsprechenden Gesetzesänderung ernsthaft in die rechtspolitischen Überlegungen im Zusammenhang mit dem Phänomen der Kinderdelinquenz mit einbeziehen dürfen. "Diese Frage wird auf die Schnelle und ohne psychologische und pädagogische Überprüfung nicht beantwortet werden können, auch wenn in den andauernden fachlichen Diskussionen immer wieder ins Feld geführt wird, dass heute bei jungen Menschen das körperliche und seelische Übergangsstadium von der Kindheit zum Erwachsenwerden regelmäßig früher einsetze als bei vorherigen Generationen", so Rümke.


Strafrecht als letztes Mittel


Berücksichtigt werden müsse, dass Sinn und Zweck des Jugendstrafrechts – anders als im Erwachsenenstrafrecht – nicht die Spezial- oder Generalprävention oder die Sühne des begangenen Unrechts, sondern vielmehr die Erziehung der Jugendlichen oder Heranwachsenden ist. Es sei fraglich, ob eine Herabsetzung der Strafmündigkeit der Erziehung eines 12- oder 13-jährigen Kindes, dessen Tat unter Umständen auf erhebliche pädagogische und psychologische Defizite und damit gegebenenfalls auch auf eine schwere Kindeswohlgefährdung zurückzuführen sei, dienen würde. "Es muss dabei im Blick behalten werden, dass der Einsatz des Strafrechts 'ultima ratio', insbesondere gegenüber der Erziehungskompetenz der Familiengerichte ist. Kinderdelinquenz steht so zumeist am Ende einer langen Kette von Fehlentwicklungen. Dem durch eine Inhaftierung des Kindes zu begegnen, ohne die Ursachen der Fehlentwicklung zu beheben, würde wohl kaum dazu führen, eine erneute Delinquenz des Kindes zu verhindern", so Rümke weiter, der anmerkt, dass eine Änderung des entsprechenden Paragraphen, einschließlich der Herabsetzung der Strafmündigkeit, dem Bundesjustizministerium obliegt.

Kein Strafprozess heißt nicht, unbestraft


Auch wenn strafunmündige Täter per Gesetz nicht vor eine Strafkammer gestellt werden, bedeute dies nicht, dass die Tat einer Person unter 14 Jahren „ungeahndet“ bleibt und das Kind im Falle der Begehung einer erheblichen Straftat nicht „vor einen Richter“ kommt. "Nach Einstellung des Verfahrens leitet die Staatsanwaltschaft die Akte an das zuständige Jugendamt zur Prüfung vormundschaftlicher Maßnahmen weiter", erklärt Rümke das weitere Verfahren.


Das Jugendamt werde in solchen Fällen regelmäßig das zuständige Familiengericht anrufen, welches zur Prüfung der Frage, ob die Tat nicht Ausdruck einer schweren Kindeswohlgefährdung ist, sehr wahrscheinlich ein Erziehungsgutachten einholen und sodann über vormundschaftliche Maßnahmen entscheiden wird. Im Rahmen der vormundschaftlichen Maßnahmen kommen etwa Weisungen an die Sorgeberechtigten, die Herausnahme des Kindes aus der Familie und die Unterbringung des Kindes in einer (therapeutischen) Wohngruppe oder auch die Entziehung der elterlichen Sorge sowie die Unterbringung in einem geschlossenen Heim in Betracht. Das Familiengericht hat unter Abwägung aller pädagogischen und erzieherischen Gesichtspunkte immer eine Einzelfallentscheidung zu treffen. So wie in dem Fall in Salzgitter. Am Freitag teilte die Stadt mit, dass der Junge nach Absprache mit seinen Eltern zunächst in einer psychiatrischen Klinik untergebracht sei, bis das Gericht eine endgültige Entscheidung trifft.

Aufgrund der Tatsache, dass ein unter 14-jähriges Kind nicht vor einem Gericht angeklagt werden kann, kann es auch nicht vorbestraft sein. Es erfolgt deshalb auch kein Eintrag im Bundeszentralregister. Allerdings werde das Verfahren bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in der Verfahrensliste mit dem Zusatz „Einstellung wegen Strafunmündigkeit“ eingetragen.


mehr News aus der Region


Themen zu diesem Artikel


CDU Kriminalität Polizei