Region. Die dunkle Jahreszeit hat begonnen. Erfahrungsgemäß häufen sich dann wieder die Unfälle mit Wildtieren, die die Straße queren. regionalHeute.de nahm dies zum Anlass der Frage nachzugehen, was in so einem Fall die beste Lösung ist: Bremsen, ausweichen oder doch draufhalten? Dass es hier keine allgemeingültige Regel geben kann, ist klar. Daher baten wir die Polizei, den ADAC und den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) um eine Einschätzung.
Allerdings sind Wildunfälle nur ein Teil der Fragestellung. Gerade innerorts kommt es auch zu Unfällen mit Haustieren wie Katzen und Hunden, und in ländlichen Gebieten könnte es zu Kollisionen mit Nutztieren wie Hühnern oder gar Kühen kommen. Dabei ist, wenn es um die Eigensicherheit geht, immer die Größe des Tieres entscheidend. Da sind sich die Experten einig. "Größere Tiere können größere Schäden anrichten und gegebenenfalls vom Fahrzeug `aufgeladen´ werden und durch die Windschutzscheibe in den Fahrzeuginnenraum eindringen, bei schweren Tieren besteht die Gefahr, dass das Fahrzeug außer Kontrolle gerät und gegebenenfalls gegen einen Baum oder ein anderes Fahrzeug prallt", erklärt Dirk Oppermann für die Polizeidirektion Braunschweig.
Wer auffährt hat nicht immer schuld
Die Polizei rät bei einer drohenden Kollision mit einem Tier möglichst zu bremsen und grundsätzlich nicht auszuweichen. Wobei insbesondere bei Kleintieren die Gefahr des Auffahrens des Hintermannes oder Ausbrechens des Fahrzeuges bei rutschiger Fahrbahn zu beachten sei. Denn die landläufige Meinung "Wer auffährt hat schuld" gelte in diesem Zusammenhang nicht uneingeschränkt. Wenn man wegen eines Tieres bremst, könne das als grundloses Bremsen ausgelegt werden.
Ausschlaggebend dabei sei die Größe des Tieres. "Bei großen Tieren wie Pferden, Rehen, Wildschweinen oder Rindern wird das Bremsen wegen der zu erwartenden schweren Unfallfolgen regelmäßig gerechtfertigt sein. Bei kleineren Tieren auf der Fahrbahn, wie Hasen, Eichhörnchen, Igel, aber auch Marder oder Hauskatzen, wird das Bremsen mit dem Pkw oft als unbegründet angesehen", so Oppermann. Die vorherrschende Rechtsprechung stehe auf dem Standpunkt, dass die von Kleintieren ausgehende Gefahr für ein Auto so gering sei, dass es unverhältnismäßig wäre, das mit einem Brems- oder Ausweichmanöver verbundene Unfallrisiko in Kauf zu nehmen.
Tierart für Versicherer wichtiger als Größe
Aus Sicht der Versicherungswirtschaft spielt noch ein weiterer Faktor eine Rolle. "Für die Sicherheit der Autoinsassen spielt die Größe und das Gewicht des Tieres natürlich eine wesentliche Rolle. Für die Frage, ob die Teilkaskoversicherung den Schaden deckt, ist aber nicht die Größe des Tieres entscheidend, sondern die Tierart", erklärt Siegfried Brockmann, Leiter Unfallforschung beim GDV. Eventuelle Schäden würden durch die Teilkaskoversicherung getragen. Hierbei sei es wichtig, auf die Bedingungswerke des jeweiligen Versicherers zu achten, da dort unterschiedliche Deckungsumfänge bestehen können - Zusammenstoß mit Haarwild, der erweiterte Wildschaden oder der Zusammenstoß mit Tieren.
Haarwild werde nach dem Bundesjagdgesetz definiert. Zum Haarwild gehörten unter anderem Rotwild, Dammwild, Rehwild, Schwarzwild, Feldhase, Wildkaninchen, Fuchs und Marderarten. Die Variante des erweiterten Wildschadens erfasse zusätzlich zum Haarwild einzeln benannte Tiere, wie zum Beispiel Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen. "Umfasst der Kfz-Versicherungsvertrag den Zusammenstoß mit Tieren, so stellt dies den umfangreichsten Deckungsumfang dar. Hier ist jede Kollision eines in Bewegung befindlichen Fahrzeugs mit einem Tier (gleich ob Haus-, Nutz-, Wildtier oder auch Vögel) gedeckt", so Brockmann.
Rechenspiel mit Bremswegen
Damit es gar nicht erst zu einem Schaden kommt, rät die Polizei zu vorausschauendem Fahren und einem erhöhten Gefahrenbewusstsein. "Vor allem in Waldabschnitten und an Feldrändern überqueren die Tiere häufig die Straße. Und das vor allem in den Abend- und frühen Morgenstunden während der Dämmerung. Diesbezügliche Hinweisschilder müssen unbedingt beachtet werden", betont Dirk Oppermann.
Bei vorausschauender und aufmerksamer Fahrweise könne ein möglicher Unfall durchaus vermieden werden. "Ab 80 km/h wird der Bremsweg gefährlich lang. Der Bremsweg bei 80 km/h beträgt zirka 55 Meter. Unter der Annahme, dass wir das Wild in einer Entfernung von 60 Metern wahrnehmen, könnte der Fahrzeugführer ohne Kollision noch vor dem Wild zum Stehen kommen", rechnet Oppermann vor. Anders sehe es bei 100 km/h aus. Hier benötige der Fahrer gut 80 Meter zum Anhalten, kollidiere also noch mit einer Geschwindigkeit von etwa 61 km/h mit dem im Beispiel 60 Meter entfernten Wild. Nur 10 km/h schneller würde die Aufprallgeschwindigkeit sogar bei gut 80 km/h liegen.
Nachtsicht nur in der Oberklasse
Doch kann man die Bremsfähigkeit und Gefahrenerkennung durch moderne Technik im Auto verbessern? Während man beim GDV eine Infraroterkennung von Wild, idealerweise verbunden mit einem Notbremsassistenten, vermisst, hat sich der ADAC intensiv mit diesem Thema beschäftigt. So habe man kürzlich zwei Sicherheitssysteme getestet, berichtet Alexandra Kruse, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit & Marketing des ADAC Niedersachsen/Sachsen-Anhalt. Hierfür wurden beispielhaft zwei Fahrzeuge (VW T-Cross und Mitsubishi Eclipse Cross) mit Notbremsassistenten ausgewählt und deren Reaktion auf ein querendes Wildschwein-Dummy getestet. Zudem wurde geprüft, inwieweit ein Nachtsichtassistent (Peugeot 508) zur Unfallvermeidung beitragen kann.
Nachtsicht-Systeme erkennen mit Infrarotsensoren die Wärmestrahlung von Fußgängern oder Tieren. Sie können so frühzeitig warnen oder die Bremsung unterstützen. Im Funktionstest bei Nacht konnte der Assistent des Peugeot 508 überzeugen. Allerdings werden laut ADAC die Nachtsicht-Assistenten bislang vor allem in der oberen Mittel- und Oberklasse angeboten – und dies nur als teure Sonderausstattung. Ein serienmäßiger Verbau und die flottendurchdringende Verbreitung seien langfristig nicht in Sicht.
Notbremsassistenten dagegen seien ab sofort für neue Fahrzeuge Pflicht, seien aber bislang nur auf die Erkennung von Fahrzeugen, Fußgängern und Radfahrern hin optimiert. Doch gerade die häufig verbauten Radarsensoren könnten bei Dunkelheit oder Nebel ihre besonderen Stärken auch bei der Erkennung von Tieren ausspielen. Das Ergebnis des ADAC Tests: Zwar können die Assistenzsysteme im VW T-Cross und Mitsubishi Eclipse Cross den Aufprall nicht verhindern, allerdings wird in einigen Situationen bereits eine Warnung ausgegeben und die Bremsung unterstützt. Nach Meinung der Experten sollte die Erkennung von Wildtieren bei der Entwicklung von Notbremsassistenten einbezogen und integriert werden. Mit vorhandener Technik ließe sich ein wichtiger Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten.
Was tun nach Unfall?
Doch was tun, wenn es doch zu einer Kollision gekommen ist? Auch hier gibt der ADAC Auskunft. Bei einem Wildunfall gilt: Warnblinkanlage einschalten, Warnweste anziehen und Unfallstelle absichern. Das gelte auch, wenn das Tier verletzt geflüchtet sei. Sind Personen verletzt, die 112 wählen und Erste Hilfe leisten. Auch ohne Verletzte müsse immer die Polizei unter der Rufnummer 110 verständigt werden. Wenn möglich, das tote Tier an den Randstreifen ziehen, damit keine Folgeunfälle passieren. Wegen eventueller Parasiten oder Krankheiten aber nicht mit bloßen Händen anfassen. Verletzte Tiere sollte man gar nicht anfassen, da sie sich wehren könnten. Das angefahrene Wild darf vom Unfallort nicht entfernt werden, sonst drohe eine Anzeige wegen Wilderei.
Bei Unfällen mit Klein- und Haustieren sollte die Polizei benachrichtigt werden, wenn durch den Unfall Personen verletzt wurden, das tote oder verletzte Tier andere Verkehrsteilnehmer gefährdet, weil es beispielsweise mitten auf der Fahrbahn liegt oder der Halter eines Haustiers ermittelt werden soll, um Schadenersatzansprüche geltend zu machen.
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