Wolfenbüttel. "Ich möchte Sie herzlich bitten, sich für die Zukunft zu entscheiden!", beendete Grünen-Ratsherr Stefan Brix am heutigen Dienstag vor dem städtischen Bauausschuss sein Plädoyer für die Idee der "Fahrradzone Okerumflut". Das bereits in einer Live-Talkrunde diskutierte Pilotprojekt konnte die Ausschussmitglieder jedoch nicht überzeugen - Zu viele Fragen seien offen, und das Flickwerk Okerumflut brauche ein ganzheitliches Konzept. Der Antrag wurde vertagt. Doch auch wenn das Fahrrad wohl vorerst nicht das bevorrechtigte Verkehrsmittel in Wolfenbüttel ist, dominierte es heute in jeder Hinsicht den Bauausschuss.
Neben einem Fahrradparkhaus am Bahnhof Wolfenbüttel und dem Verbleib der Radverkehrsbeauftragten, deren mehrmonatige Abwesenheit (aus privaten Gründen) sogar die Rezertifizierung der Stadt Wolfenbüttel als "Fahrradfreundliche Kommune" gefährden könne, wie es ADFC-Vorstand und Bauausschuss-Bürgermitglied Thilo Neumann ausdrückt, war die Fahrradzone Okerumflut schon der dritte Punkt in der heutigen Sitzung, der sich mit dem Thema Radverkehr beschäftigte.
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Ratsherr Brix will zunächst mit den wichtigsten Missverständnissen aufräumen: "Die Fahrradzone bedeutet, dass Fahrradfahrer Vorrang haben vor allen anderen Verkehrsmitteln. Der Verkehr ist weiterhin zulässig, aber dem Radverkehr untergeordnet." Die Fußgängerzonen oder verkehrsberuhigten Bereiche blieben von der Fahrradzone unberührt. Brix erläutert weiter: "Es betrifft nur diejenigen Straßen, die heute schon mit Tempo 30 innerhalb der Okerumflut belegt sind. Als wesentliche neue Straße käme der Rosenwall hinzu, der aufgrund der Schülerinnen und Schüler der Großen Schule einen erheblichen Radverkehrsanteil hat. Diese müssen aber viel auf dem nicht angemessenen Radweg fahren." Dieser sei, so Brix, nur einen Meter breit und müsste sich außerdem mit Fußgängern geteilt werden.
Positive Effekte für den Autoverkehr?
Laut Brix könne der Autoverkehr sogar von einer Fahrradzone mit Fahrradfahrern als bevorrechtigtem Verkehrsteilnehmer profitieren: Die vorgegebenen Überholabstände könnten in der Innenstadt bei Gegenverkehr ohnehin nicht eingehalten werden. "Wenn nur zehn Prozent der Autofahrer auf das Fahrrad umsteigen, sind auch zehn Prozent mehr Parkplätze da!", argumentiert Brix weiter.
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Gerhard Kanter (CDU) muss die Euphorie des Grünen-Politikers für die Fahrradzone jedoch dämpfen: "Es gibt viele Anträge zum Verkehr in der Okerumflut. Bei unserem Prüfantrag zur flächendeckenden Einführung von Tempo-30-Zonen ist auch noch nichts geschehen!", meint der CDU Politiker und schlägt ein Gesamtkonzept unter Berücksichtigung aller Anträge vor: "Es sollten alle sinnvollen Maßnahmen für Auto, Rad und ÖPNV berücksichtigt werden. Der ÖPNV hätte wohl größte Probleme mit eurem Antrag." Kanter beruft sich auf einen vorherigen Vortrag im Ausschuss, der die Probleme der Busverbindungen an der Kreuzung "Grüner Platz" beschäftigte - Die Kreuzung ist an der Grenze ihrer Belastbarkeit - Ein Nadelöhr für Busse.
"Wir kämpfen beim ÖPNV um jede Sekunde, damit das Nahverkehrskonzept aufgeht - diese Überlappung wäre kontraproduktiv."
In diese Kerbe schlägt auch FDP-Mandatsträger Pierre Balder. "Ich glaube, dass wir mit der Fahrradzone zwar vermeintlich dem Fahrradverkehr etwas Gutes tun würden, dass es aber nicht dazu führen würde, dass mehr Leute das Fahrrad nutzen. Es würde sich aber das Verhalten der Radfahrer ändern, auch zulasten der anderen Verkehrsteilnehmer", erklärt Balder und fügt hinzu: "Auch ich sehe Probleme beim ÖPNV. Und jetzt zukünftig würden mit der Fahrradzone die Radfahrer das Tempo vorgeben. Wir kämpfen beim ÖPNV um jede Sekunde, damit das Nahverkehrskonzept aufgeht - diese Überlappung wäre kontraproduktiv."
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"Jetzt spielen Sie die Radfahrer gegen den ÖPNV aus?"
Grünen-Ratsherr Stefan Brix verteidigt die Idee der Fahrradzone Okerumflut gegen die Vorwürfe, sie würde den ÖPNV ausbremsen. Foto: Marvin König
Die vorgebrachten Argumente kann Antragsteller Stefan Brix so nicht stehen lassen: "Ich finde es schon ein ganz starkes Stück zu sagen: 'Der Radverkehr behindert den ÖPNV'. Wir haben doch alle den Vortrag gehört, dass der ÖPNV im Stau der Autos vor allen Ampeln steht. Der Bus steht vor der Breiten Herzogstraße im Stau der Autos, nicht der Radfahrer. Jetzt spielen sie die Radfahrer gegen den ÖPNV aus?" Aus Sicht von Brix spreche alles was vorgebracht wurde für die Fahrradzone. "Sie kommen dann aber selber zu dem mir unerklärlichen Schluss, dass man das nicht machen darf?", stellt Brix weiter in den Raum.
Thilo Neumann, Bürgermitglied des Bauausschusses und ADFC-Vorsitzender in Wolfenbüttel. Foto: Marvin König
"Der Fahrradfahrer trägt positiv zu den Umsätzen im Einzelhandel bei."
In der aufgeheizten Stimmung schlägt sich Bürgermitglied Neumann auf die Seite der Fahrradzone-Befürworter: "Ich möchte mal ein paar sachliche Argumente einbringen: Ich glaube auch, dass Fahrradzonen eine Verkehrsverlangsamung mit sich bringen, aber das wünschen wir uns ja alles. Wir wollen ja Verkehr aus Innenstadt raushalten, der da nicht hingehört. Derjenige, der mit dem Auto in die Stadt fährt, um dort zu parken, dem ist das relativ egal wenn er die letzten 500 Meter nicht 45 km/h, sondern nur 20 fährt."
Neumann erklärt außerdem: "Der Verkehr, den die Einzelhändler haben wollen, wird man damit gar nicht behindern, glaube ich. Es geht um höhere Aufenthaltsqualität und höhere Sicherheit in der Innenstadt. Wenn man sich Untersuchungen anschaut, sind die Fahrradfahrer eher die treuen Kunden - Der Fahrradfahrer trägt positiv zu den Umsätzen im Einzelhandel bei."
"Ich würde gerne zustimmen, aber..."
Uwe Kiehne (SPD) meint, er würde der Idee gerne zustimmen, jedoch sollte man auch Mathias Schmechtig dazu anhören, der sich für das Stadtbuskonzept verantwortlich zeichnet. "Als er das Stadtbuskonzept entwickelt hat, war das eine Bedingung, die so nicht gegeben war. Ich würde da eine Stellungnahme gerne hören wollen was er dazu sagen würde, wenn wir die Okerumflut mit einer Fahrradzone sozusagen „belasten“", meint der SPD-Politiker. Einen Vorschlag zur Güte unterbreitet sein Parteikollege Axel Kohnert: "Könntet ihr euch damit anfreunden, dass wir da einen Prüfauftrag draus machen? Wir haben noch den Antrag der CDU zu den 30er Zonen offen, dann das von euch, wenn man das ganze zusammen nimmt, die 30-Zonen erweitert und das als Fahrradstraßen festnagelt, würde die Fußgängerzone bleiben wie sie sind und der Rest müsste sich auch regeln lassen." Der angesprochene Brix macht ein eher nachdenkliches Gesicht.
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Die Verwaltungsvorschriften fehlen
Ein weiteres Problem gibt Manuela Buschner zu bedenken, die für die Stadtverwaltung im Ausschuss sitzt. Man begrüße als Verwaltung die Änderung der STVO und die geschaffenen Möglichkeiten zur Förderung des Radverkehrs, jedoch würden noch jegliche Verwaltungsvorschriften fehlen, welche die Umsetzung der neu geschaffenen Möglichkeiten regulieren. Brix lenkt ein: "Ich kann mich auf den Prüfauftrag einlassen. Aber dann müssen wir jetzt schonmal sagen was genau der Gegenstand der Prüfung sein soll. Es nützt ja nichts die Verwaltung zu beschäftigen, wenn wir kein Statement von uns geben was wir eigentlich wollen!", meint Brix und spricht in die Runde: "Ich verstehe wenn man sagt, dass man nur zustimmen kann wenn der Bus nicht behindert wird. Und AfD und CDU wollen ein Gesamtkonzept."
Antrag wird vertagt
Bürgermeister Pink schlägt vor, den Antrag der CDU im Herbst im Bauausschuss zu behandeln und darauf weiter aufzubauen: "Dann ist ja der Antrag von Grünen und SPD zusammenzuführen und dann wird ein Paket draus! Die Mühlen in Berlin mahlen ja langsam, vielleicht sind dann ja die Verwaltungsvorschriften da!" Denn zu allem Überfluss hat die SPD noch einen auf den Fahrradzonen aufbauenden Antrag formuliert, der ebenfalls in der laufenden Sitzung behandelt werden sollte. Letzten Endes entschieden sich alle Beteiligten für die Vertagung des Antrages, bis neue Erkenntnisse zum Antrag der CDU vorliegen.
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