SPD-Flüchtlingskonferenz: "Es kommt noch einiges auf uns zu"

von Jan Borner


Stellvertretender Bundeskanzler Sigmar Gabriel, Landrätin Christiana Steinbrügge, Leiter der Landesversorgungsverwaltung Matthias Wehrmeyer, Landtagsabgeordneter Marcus Bosse,  und der Sprecher der SPD-Landtagsfraktion für Migration und Teilhabe Dr. Christos Pantazis in der Diskussion bei der SPD-Flüchtlingskonferenz. Fotos: Jan Borner
Stellvertretender Bundeskanzler Sigmar Gabriel, Landrätin Christiana Steinbrügge, Leiter der Landesversorgungsverwaltung Matthias Wehrmeyer, Landtagsabgeordneter Marcus Bosse, und der Sprecher der SPD-Landtagsfraktion für Migration und Teilhabe Dr. Christos Pantazis in der Diskussion bei der SPD-Flüchtlingskonferenz. Fotos: Jan Borner | Foto: Jan Borner



Wolfenbüttel. Es sollte ein Abend sein, der informiert, der Fragen aufwirft und bestenfalls schon beantwortet, der Politprominenz mit den direkt betroffenen - den Flüchtlingen - zusammenbringt, der Kritik zulässt, aufnimmt und vielleicht sogar in Handlungen verwandeln kann. Am Ende stand vor allen Dingen eines fest: Wir stehen vor einer großen Herausforderung, die es in den nächsten Jahren zu meistern gilt.

Die größte Herausforderung Deutschlands


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Sigmar Gabriel sieht in der Flüchtlingspolitik eine große Herausforderung. Foto: Jan Borner



"Wir reden zurzeit jeden Tag über Griechenland und das ist auch wichtig, aber die größte Herausforderung ist nicht Griechenland, sondern die Frage, wie Europa mit den Flüchtlingen umgeht. Und Europa benimmt sich schrecklich." So schaltete sich Vizekanzler Sigmar Gabriel in die Diskussion ein, die am gestrigen Mittwochabend in der Lindenhalle in Wolfenbüttel stattfand. Zu Gast waren neben dem SPD-Parteivorsitzenden auch Landrätin Christiana Steinbrügge, Landtagsabgeordneter Marcus Bosse und der Sprecher der SPD-Landtagsfraktion für Migration und Teilhabe Dr. Christos Pantazis. Entscheidungsträger aus Bund, Land und Landkreis trafen also zusammen und diskutierten über die Verantwortungen, Ziele und Erfolge jeder politischen Ebene. So wies Sigmar Gabriel beispielsweise auf die finanzielle Hilfe hin, die der Bund den Ländern und Kommunen jetzt mit einer Milliarde Euro für die Aufnahme von Asylbewerbern zur Verfügung stellt. Er wisse allerdings, dass dies lediglich eine unterstützende Soforthilfe sei und keine langfristige strukturelle Maßnahme, welche die finanziellen Probleme der Kommunen vollständig lösen könne.

Der Kontakt zur Basis - die Ehrenamtlichen


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Najah Bakrawi aus dem Libanon (rechts) erzählt mit Hilfe der Dolmetscherin Tifour Chafika von ihrer Geschichte und ihren Erfahrungen. Foto: Jan Borner



Moderiert wurde die Konferenz vom Leiter der Landesversorgungsverwaltung Matthias Wehrmeyer, der nach den einleitenden Reden der Politiker schnell den Kontakt zu zwei anwesenden Flüchtlingen suchte. Mit der Hilfe einer Dolmetscherin erzählten diese von ihrem Weg nach Deutschland, von den Gründen ihrer Flucht und ihren Erfahrungen hier vor Ort. In beiden Fällen stellte sich heraus, dass vor allem das Erlernen der deutschen Sprache ein Problem ist. Flüchtlinge, deren Asylantrag noch nicht anerkannt ist, haben bislang nämlich noch kein Recht auf einen Integrationskurs und Sprachkurse, die für alle Flüchtlinge angeboten werden, sind rar, weil sie maßgeblich von ehrenamtlichen Helfern getragen werden (RegionalWolfenbüttel.de berichtete). Eine Bürgerin, die neben ihrem Beruf als Apothekerin, ehrenamtlich Deutschunterricht gibt, richtete in diesem Zusammenhang auch eine Beschwerde an die Politik. Diese gebe zu wenig Rückhalt und es fände sich kaum eine Planung und Struktur in den Samtgemeinden, welche die ehrenamtliche Arbeit unterstützen würde. Mit diesem Vorwurf wendete sie sich auch direkt an Vizekanzler Sigmar Gabriel: "Das ist Ihr Job und nicht meiner. Ich bin Apothekerin." Der Bundesminister entgegnete darauf: "Ich glaube es wird nie rund laufen. Es werden so viele Menschen kommen mit so vielen unterschiedlichen Fragen und Problemen, wir werden es nie perfekt hinbekommen." Dennoch, so Landrätin Christiana Steinbrügge, sei Kitik wie diese sehr wichtig, um zu sehen, was verbessert werden kann: "Sie sind an der Basis. Sie sehen, wie es läuft".

Der Fall Samuel Seferino


Auch der Fall von Samuel Seferino aus Hötzum (RegionalWolfenbüttel.de berichtete) wurde von einer Bürgerin angesprochen. Sie erklärte, dass sie einfach nicht verstehen könne, dass jemand, der arbeite und sich darüber hinaus mit so viel Engagement in die Gesellschaft integriere, womöglich abgeschoben werde. Deutschland schade sich damit selbst und verlöre Geld durch den Verlust eines steuerzahlenden Mitbürgers. Sowohl Marcus Bosse als auch Christos Pantazis verwiesen in diesem Zusammenhang sofort auf die Härtefallkommission, die in Niedersachsen für Fälle wie diese eine Lösung sein könne. Sigmar Gabriel fügte hinzu: "Die Frage, ob jemand hier bleiben kann oder nicht, richtet sich nicht danach, ob jemand Arbeit hat. Sie richtet sich nicht danach, ob jemand Steuern zahlt, sondern danach, ob er einen Fluchtgrund hat. Das heißt, es wird Menschen geben, die hier her kommen, die Arbeit haben und trotzdem kein Asyl bekommen."

Die politische Zwickmühle


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Auch Lydie Affouet Ndja aus der Elfenbeinküste erzählt von ihrer Geschichte. Foto: Jan Borner



Sigmar Gabriel verurteilte die europäische Politik an den Grenzen, eine Linie ins Mittelmeer zu ziehen und willkürlich zu bestimmen, wo gerettet werde und wo nicht, das sei eine Schande für die europäische Union, aber dennoch, stellte er klar, dass es eine harte Wahrheit gebe und diese sei, dass Deutschland einige aufnehmen könne und andere nicht. Asylanträge aus dem Westbalkan, aus europäischen Mitgliedsstaaten, sollten, so der Vizekanzler, erst gar nicht in die Kommunen verteilt werden, sodass die Flüchtlinge aus den Krisengebieten, die den Unterschlupf am nötigsten brauchen, nicht die Chance darauf verlieren. Dann erklärte er: "Wir müssen verhindern, dass ein Dorf in die Situation kommt, zu sagen 'Das Freibad müsste eigentlich saniert werden, aber das können wir nicht, denn wir müssen die Flüchtlinge unterbringen. Wir müssen verhindern, dass Kinder nicht mehr in die Schule gehen können, weil dort Flüchtlinge untergebracht werden. Das ist sozialer Sprengstoff." Damit war die soziale Herausforderung, vor der Deutschland steht, auf den Punkt gebracht. Deutschland müsse der moralischen Pflicht nachkommen, Menschen in Not zu helfen, müsse aber, so Sigmar Gabriel, gleichzeitig darauf achten, dass sich das politische Bild in Deutschland nicht in eine gefährliche Richtung ändere. Das aber könnte passieren, wenn Bürgerinnen und Bürger für die Rettung anderer auf Dinge verzichten müssen, die sie gewohnt sind.


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