Wolfenbüttel: Podiumsdiskussion am THG - Grünes Licht für Schülerbeförderung, Dissens bei Studiengebühren und keine Mehrheit für Rückkehr zu G9

von Romy Marschall




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Podiumsdiskussion mit fünf Landtagskandidaten in der Aula des Theodor-Heuss-Gymnasiums Foto:



Fazit: Am kommenden Montag werde es grünes Licht für die kostenfreie Schülerbeförderung im Kreistag geben. Deutlicher Dissens war spürbar in puncto Studiengebühren: Landesregierung dafür, Opposition dagegen. Mit seiner Forderung nach einer Rückkehr zum gymnasialen Regelabitur nach neun Jahren (G9) stand Perli politisch im Abseits, bekam aber großen Beifall von den Schülern. Einen Schlagabtausch lieferten sich die Fraktionen bei den Themen Endlagerung von Atommüll und Einführung von Mindestlöhnen. 


WolfenbüttelHeute.de berichtete bereits gestern zum Thema. Lesen Sie heute den angekündigten ausführlichen Bericht zur Podiumsdiskussion mit dem 11. und 12. Jahrgang des Theodor-Heuss-Gymnasiums. Es diskutierten folgende Landtagskandidaten der Fraktionen: Frank Oesterhelweg (CDU), Björn Försterling (FDP), Bertold Brücher (Bündnis 90/Die Grünen), Falk Hensel (SPD) und Victor Perli (Die Linke). Benita Haß (11. Jg.) und Matthias Konitzny (12. Jg.) moderierten souverän durch die Podiumsveranstaltung und anschließende offene Diskussionsrunde.

G8 vs. G9: Regelabitur nach acht oder neun Schuljahren am Gymnasium?

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Sie müssen sich den Herausforderungen von G8 stellen, die Oberstufen des THG Foto:



Die Frage nach der gymnasialen Regelschulzeit, G8 oder G9, beantworteten beide Vertreter der derzeit in Regierungsverantwortung stehenden Landesparteien unisono mit Betonung der Richtigkeit der aktuell gültigen Regelung, die ein Abitur am Gymnasium nach einer Gesamtschulzeit von 12 Jahren vorsieht. Frank Oesterhelweg räumte jedoch ein, man müsse "Lehrpläne entrümpeln und sich auf das Wesentliche beschränken." Björn Försterling begegnete dem Vorschlag der schulischen Selbstbestimmung in dieser Frage, wie sie in Hessen üblich sei, mit dem Argument, "es kann nicht eine jetzige Generation für viele nachfolgende entscheiden, daß es besser sei das Abitur in neun Jahren zu absolvieren." In Kreisregionen mit nur einem Gymnasium sei dann eine Wahlmöglichkeit, wie sie derzeit bestehe, nicht mehr gegeben, so der FDP-Politiker.

Während Grüne und Linke sich gegen ein starres Festhalten am Abitur nach acht Jahren stellten, suchte Falk Hensel für die SPD den Mittelweg und wies darauf hin, daß die Möglichkeit von G9 im Rahmen der Gesamtschulen angeboten werde. Für die Gymnasien befürworte er die G8-Regelung, wünsche sich allerdings eine verbesserte personelle Ausstattung der Schulen. Bertold Brücher betonte, "ein Wahlrecht für die Schulen wäre ein wichtiger Zwischenschritt." Grundsätzlich sei jedoch entscheidend, daß "junge Menschen überhaupt das Abitur machen können, ob nun nach 8, 9 oder vielleicht 10 Jahren".

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Victor Perli (Die Linke) macht den Daumen hoch für eine Rückkehr zu G9 Foto:



Victor Perli sprach sich gegen eine "Turbogeschwindigkeit beim Thema Bildung" aus und forderte eine Rückkehr zu G9. Er verwies auf die "Zunahme gesundheitlicher Probleme bei Schülern und Studenten" sowie hohe Abbruchquoten im Bildungsbereich und unterstrich die für Bildung notwendige "Zeit zum Lernen und zur persönlichen Entwicklung."

In der Publikumsdiskussion stellte Marie Krüger, die anwesende Vertreterin des Gymnasiums Große Schule, die Frage nach den konkreten Vorteilen von G8 für die Schüler. Das "verlorene Jahr" beschere "zu viel Druck und zu viel Stoff" für die Schüler, führte Krüger aus. Försterling bezeichnete, das Argument wendend, das ehemalige elfte Schuljahr als "verlorenes Jahr" und warnte davor, zu erwarten mit einer Rückkehr zu G9 würden alle glatt durchs Abitur rutschen. Marie Krüger plädierte abschließend noch einmal für den Abbau des zeitlichen Drucks und unterstrich die Bedeutung des ehemals elften Schuljahres für die Festigung des Stoffes und die Vorbereitung auf die Oberstufe.

Niedersachsen als Schlusslicht bei der Abschaffung der Studienbeiträge?

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Studiengebühren beschäftigen die Oberstufenschüler und künftigen Studenten Foto: Archiv



Zweite Themenvorgabe für das Podium waren die in Niedersachsen noch immer geltenden Studienbeiträge. Zum Hintergrund: Anfang 2005 erklärte das Bundesverfassungsgericht das 2001 eingeführte Verbot von Studiengebühren für nichtig. Seither wurden in vielen Bundesländern ebensolche eingeführt, in Niedersachsen durch einen Landtagsbeschluss Ende 2005. Folge der Gebühren waren rückläufige Einschreibungszahlen, was zwischenzeitlich wieder zur Abschaffung führte, mit Ausnahme der Bundesländer Bayern und Niedersachsen. Zu unterscheiden sind die Semesterkosten von dem allerorts üblichen Beitrag zu den Verwaltungskosten.

Victor Perli eröffnete diese Diskussionsrunde mit der Feststellung, "Studiengebühren sind abschreckend, ungerecht und gescheitert." Er plädierte für die sofortige Abschaffung und bemängelte, daß trotz hoher Gebühren es keine "Sitzplatzgarantie" gäbe. Hintergrund sind übervolle Hörsäle an vielen deutschen Universitäten, denen mit der Einnahme von Studentenbeiträgen unter anderem abgeholfen werden sollte. Falk Hensel argumentierte ebenfalls für die Chancengleichheit, denn "solche hohen Eintrittskosten kann nicht jeder bezahlen." Gleichwohl betonte er, daß im Zuge einer Abschaffung der Gebühren die im Land erforderlichen 100 Millionen Euro pro Jahr zur Qualitätssicherung der Lehre anders gewährleistet werden müssten. "Das geht aber nicht von heute auf morgen." Einig war man sich auf der Oppositionsseite hinsichtlich der problematischen Abwanderung von Studienanfängern. Bertold Brücher schilderte diesbezüglich, daß 30 Prozent der niedersächischen Abiturienten das Land verlassen, um woanders zu studieren. "Die Exportquote ist nirgends sonst derartig hoch," ergänzt der Grünen-Vertreter und kritisierte zudem den derzeitigen Landtag für "den desolaten Zustand der Schulen und Hochschulen."

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Björn Försterling (FDP) spricht sich für Studiengebühren aus Foto:



Björn Försterling gab hingegen zunächst zu bedenken, "man mag es kaum glauben, aber es gibt auch Studierende aus anderen Bundesländern, die bewußt nach Niedersachsen kommen." Er verwies aber grundsätzlich auf die "chronische Unterfinanzierung", die jetzt geändert werden müsse und nicht zu Lasten künftiger Generationen ausgebaut werden dürfe. Försterling brachte weiterhin die höheren Einkommenschancen von Akademikern ins Spiel und verdeutlichte: "man kann nicht ein Studium gänzlich freistellen, wenn es andere  Ausbildungsgänge gibt, die kostenpflichtig sind." Dieser Argumentationslinie folgte auch Frank Oesterhelweg und erläuterte, daß ein Rettungssanitäter, der sich weiterbilden wolle, "10.000 Euro aus eigener Tasche in die Hand nehmen muß." Ferner zitierte er den Präsidenten der hiesigen Fachhochschule Ostfalia Wolf-Rüdiger Umbach, der sich ebenfalls für Studiengebühren ausspreche.

Auf Nachfrage aus dem Publikum, wie denn die zusätzlichen Lebenshaltungskosten bestritten werden sollten, rechneten sich alle die Köpfe heiß, was ein Studium überhaupt koste. Perli bot scherzhaft an, am Abend einen "Faktencheck" auf seiner Facebookseite einzustellen.

Kostenfreie Schülerbeförderung parteiübergreifender Konsens - aber nur für Schüler des Landkreises

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Falk Hensel (SPD) freut sich über parteiübergreifenden Rückhalt bei der kostenfreien Schülerbeförderung Foto:



Gab es zuletzt Mitte November im Schulausschuss des Landkreises noch eine breite Debatte um die kostenfreie Schülerbeförderung (WolfenbuettelHeute.de berichtete mehrfach), zeigte sich heute überparteiliche Bereitschaft, dem von der SPD gestellten Antrag am kommenden Montag im Kreistag stattzugeben und damit für mehr Chancengleichheit zwischen städtischen und ländlichen Gebieten zu sorgen.

Dieser politische Konsens zur kreisweiten, kostenfreien Schülerbeförderung in den Oberstufen ist ein starkes positives Signal und hat doch einen kleinen bitteren Wermutstropfen. Zunächst wird die Regelung ein regionales Zeichen bleiben und nur für Schüler des Landkreises gelten. "Wir können im Kreistag ja nur für unseren Landkreis entscheiden," so die Aussage der gestrigen Podiumsdiskussionsteilnehmer. Auf einer früheren Podiumsdiskussion zum Thema, die der Kreiselternrat im Oktober organisiert hatte, war zu vernehmen, daß es derzeit auf Landesebene keine Unterstützung für das Vorhaben gäbe. Während Landtagsmitglied Perli die Notwendigkeit einer Debatte auf Landesebene unterstrich, äußerten sich die regierenden Landtagsmitglieder verhalten und sprachen von "sich öffnenden Spielräumen" (Försterling) und "in Betracht ziehen" (Oesterhelweg).

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Frank Oesterhelweg (CDU) rechnet vor, was eine landesweite Einführung kosten würde Foto:



Der CDU-Abgeordnete betonte auf kommunaler Ebene "kann und muß man eine siebenstellige Summe aufbringen", um die Schülerbeförderung komplett freizustellen. Darüber sei man sich im Kreistag einig. Wollte man die Regelung hingegen für ganz Niedersachsen in Betracht ziehen, handele es sich um Kosten von 70 Millionen Euro, was in etwa den Kosten eines beitragsfreien Kindergartenjahres entspreche.  Björn Försterling sah in sinkenden Schülerzahlen "sich öffnende Spielräume". Der FDP-Abgeordnete brachte die bereits bestehende Subventionierung des ländlichen Raumes ins Spiel. "Wenn das Land nicht den Sekundarbereich I bereits fördern würde, dann hätten wir gar keinen Busverkehr mehr im ländlichen Bereich," so seine Aussage.

Der Landtagskandidat der Grünen bekräftigte, daß zu einer staatlichen Schulförderung auch die Beförderung von und zur Schule gehöre. "Schule fängt an, wenn der junge Mensch das Haus verläßt und hört auf, wenn er wieder nach Hause kommt," formulierte es Brücher. Er stellte die generelle Frage nach der Gestaltung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), "die Schülerbeförderung ist nur ein Baustein daraus." Falk Hensel freute sich darüber, daß "die SPD-Initiative solchen Rückhalt gefunden hat." Am Montag werde im Kreistag die Regelung beschlossen und "dann können wir es angehen," lautete sein Fazit.

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Üblicher Sperrstempel auf Verwaltungsunterlagen Foto:



Landtagsmitglied Victor Perli gab zu Bedenken, das es Aufgabe der Politik sei, überall gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. "Darum ist es eine Frage des Landes, denn manche Landkreise können sich das leisten, andere aber nicht." Des Weiteren rief er den von den Fraktionen CDU und Grüne eingebrachten Sperrvermerk in Erinnerung, der die Freigabe der Mittel zur Bedingung macht. Möglicherweise, so Perli, führe das dazu, daß die Regelung noch nicht ab dem kommenden Schuljahr umgesetzt werden könne. Björn Försterling bat darum, "keinen Streit zu provozieren, wo es keinen gäbe." Der Sperrvermerk sei notwendig aufgrund von Unwägbarkeiten im Landeshaushalt und um dessen Beschluss im März nicht zu gefährden, führte das FDP-Landtagsmitglied aus.

Offenes Endlagersuchgesetz und/oder Paradigmenwechsel bei der Lagerung des Mülls 

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Anlage "Schacht Konrad I" mit Förderanlage. Quelle: http://www.ballon-sz.de/ Foto: http://www.ballon-sz.de/



Letztes Thema der Podiumsdiskussion war die Frage der Atommüllendlagerung. In Deutschland begann der Atomausstieg nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima 2011, seither ist er gesellschaftlicher Konsens. "Mit der Diskussion um ein offenes Endlagersuchgesetz ist Deutschland so weit wie nie," hob Björn Försterling hervor. Die Verabschiedung des Endlagersuchgesetzes ist vor kurzem von Bundesumweltminister Altmaier auf Mitte 2013 verschoben worden. Der Landtagsabgeordnete Försterling zitiert die vielbeschriebene "weiße Landkarte" herbei, die für die neue Suche nach dem am besten geeigneten Standort einer Endlagerung für hochradioaktive Stoffe geschaffen werden soll. "Wenn der nach transparenter und öffentlicher Diskussion am Ende des Tages auch in Niedersachsen liegt, dann muß man als Politiker ergebnisoffen bleiben und ihn in Niedersachsen tolerieren," so Björn Försterling. In Niedersachsen liegt mit Schacht Konrad bereits der letztinstanzlich bestätigte Standort für schwach- und mittelradioaktiven Müll. Frank Oesterhelweg schloß sich dem Regierungskollegen an, "man muß objektiv bleiben, die Karte ist weiß."

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Bertold Brücher (Bündnis 90/Die Grünen) plädiert für einen Paradigmenwechsel bei der Frage des Atommülls Foto:



Für Bertold Brücher zeige die Asse einmal mehr die verfehlte Atompolitik. Er bezeichnete den maroden Salzstock als "Endlagerunfall" und forderte einen Paradigmenwechsel, "da die Endlagerung nicht der Weisheit letzter Schluß ist." Natürlich gehe es um eine sichere Lagerung, aber diese könne "nicht mit der Vorstellung verknüpft sein, den Müll auf ewig zu verschließen." Falk Hensel gab als SPD-Landtagskandidat zwar zu, daß die ergebnisoffene Suche "ein großer Gewinn" sei. Der Privatmensch Hensel jedoch äußerte Unbehagen und Skepsis. "Ich will hier keinen Atommüll haben," formulierte er offen. Auch sei er ganz bei Brücher und glaube nicht an eine garantierte Sicherheit von 100 Millionen Jahren, "ein Herankommen muß möglich sein." Victor Perli fand schließlich ein Bild für die Atomenergie und bezeichnete sie als "Flugzeug ohne Landebahn." Der Vertreter der Linken sprach sich für eine "oberflächennahe rückholbare Lösung" aus anstelle eines Endlagers, denn "Sicherheit heißt Türen offen halten." Niemand könne im Augenblick vorhersehen, wohin sich die Forschung entwickle.

Die Debatte um den gesetzlichen Mindestlohn erhitzte zwar die politischen Gemüter, führte aber strenggenommen an der Zielgruppe vorbei. Dieser politische Schlagabtausch wird sicherlich an anderer Stelle im Landtagswahlkampf noch einmal geführt. Daher verzichtet die Redaktion an dieser Stelle auf eine ausführliche Berichterstattung.


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