Braunschweig. Die Landes-SPD will im Falle eines Sieges bei der Landtagswahl 2018 die Elternbeiträge für Kindergärten abschaffen. Das kündigte Ministerpräsident Stephan Weil an. In Braunschweig wurden diese gerade erst wieder eingeführt. Das Echo der Ratsfraktionen ist geteilt.
Es wurde gestritten, es wurde demonstriert und diskutiert – doch am Ende kam der Beschluss, die Stadt führt wieder Kindergarten-Entgelte ein. Grüne, SPD und BIBS stimmten dafür, die CDU, die Piraten und die Linke dagegen (regionalHeute.de berichtete). Angestoßen wurde die neue Regelung von der Braunschweiger SPD. Im Land vollzieht die Partei nun scheinbar einen anderen Weg. regionalHeute.de hat bei Verwaltung und Ratsfraktionen nachgefragt, wie sie diese neue Entwicklung bewerten.
"Eine Ohrfeige für die Braunschweiger SPD"
Reinhard Manlik, CDU-Ratsfraktion, sagte auf Anfrage der Redaktion: "Auf Antrag der CDU haben wir als eine der ersten Städte die Beitragsfreiheit für den Kindergarten eingeführt. Die SPD hat das Ganze dann im vergangenen Jahr gemeinsam mit den Stimmen der BIBS und der Grünen abgeschafft und nun kommt der Vorschlag vom Land, die Beiträge generell abzuschaffen. Dieser Vorstoß ist, wenn man ehrlich ist, eine Ohrfeige für die Braunschweiger SPD."
Beim Kindergarten handele es sich um eine Erziehungseinrichtung. Für Bildungseinrichtungen sei das Land in der Pflicht, die Kosten zu übernehmen. So werde es auch bei Schulen gehandhabt. Also müsse es hier sowieso Beitragsfreiheit geben. "Doch bisher hat das Land immer betont, dass es sich dies nicht leisten könne. Deshalb muss man vorsichtig sein, ob der Ministerpräsident nicht schon in den Wahlkampf eingestiegen ist und wann und ob wirklich etwas umgesetzt wird. Wir wären froh gewesen, wenn man diesen Vorschlag schon eher gemacht hätte, denn für die Eltern ist dieser Schritt schon absolut zu begrüßen. Dass die Braunschweiger SPD die Gebühren gerade eingeführt hat, die vom Land nun wieder abgeschafft werden, ist allerdings doch sehr paradox. Ein Problem bleibt ja bestehen: Die Krippenplätze müssen auch weiterhin von den Eltern bezahlt werden. Das heißt, wir kehren eigentlich zu dem Modell zurück, welches wir bereits vorher in Braunschweig hatten. Wie das Ganze dann wieder bezahlt und umgesetzt werden soll, da wäre es einmal sehr interessant von der SPD zu erfahren, wie man sich das vorstellt."
Linke vermuten Wahlkampf-Masche
Gisela Ohnesorge, sagte für die Linksfraktion, "Schon im Wahlprogramm der SPD zur letzten Landtagswahl wurde die gebührenfreie Kinderbetreuung gefordert.
Auf kommunaler Ebene war die SPD neben den Grünen eine der treibenden Kräfte zur Wiedereinführung der Gebühren. Insofern kann man das nur als reinen Wahlkampf verstehen. Nicht Worte entscheiden, sondern Taten. Wir haben immer wieder deutlich gemacht, dass die Wiedereinführung der Kindergartengebühren das falsche Signal in Braunschweig ist. Wir wollen, dass Bildung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern ist und der Kindergarten ist eine sehr wichtige Bildungseinrichtung."
BIBS fordert mehr
Sebastian Barnstorf, BIBS-Fraktion, stellte klar: "Seit Jahren setzt sich die BIBS dafür ein, dass die Betreuungsqualität in allen Einrichtungen der Kinderbetreuung verbessert wird. Gute Arbeit im Sinne aller Kinder erfordert aber nicht nur ein ausreichendes Angebot an Kita-Plätzen. Wenn in Braunschweig - wie auch anderswo - das erreichte Niveau in der Kinderbetreuung gehalten werden soll, dann muss auch an das Personal gedacht werden. Kita-Arbeit ist mehr als Betreuung der Kinder, ist Erziehung und Bildung. Die BIBS hat stets gefordert, dass das Land für die generelle Beitragsfreiheit sorgen muss. Insofern steht der Verstoß der Landes-SPD in keinem Widerspruch zum Braunschweiger Vorgehen. Der SPD-Vorstoß ist generell zu begrüßen, geht aber nicht weit genug: Kinderbetreuung als Bildungsaufgabe sollte für alle Kinder frei sein - auch für die unter dreijährigen Krippenkinder und die Schulkindbetreuung (Hort, usw.)."
Stadt sieht sich bestätigt
Für die Verwaltung äußerte sich Sozialdezernentin Frau Dr. Hanke: "Der Vorschlag des Landes folgt der Überzeugung, dass frühkindliche Betreuung immer mehr zu einer Bildungsaufgabe wird.
Insofern ist es konsequent, dass das Land als zuständige staatliche Ebene eine Entgeltfreiheit finanziert, zumal es ja bereits ein Jahr entgeltfrei gestellt hat. Das war auch genau die Haltung der Stadt bei der Frage der Wiedereinführung der Entgelte. Insofern sieht die Stadt hier ihre Auffassung bestätigt. Weitergehend, etwa hinsichtlich der konkreten Auswirkungen für die Kommunen und die Frage nach der Qualität der Betreuung, kann der Vorschlag nicht kommentiert werden, weil die Stadt keine Details dazu kennt."
SPD sieht keinen Widerspruch
Christoph Bratmann, Fraktionsvorsitzender SPD-Braunschweig, stellte gegenüber regionalHeute.de klar, dass man den Vorstoß vom Land begrüße: "Wir haben ja auch immer darauf hingewiesen, dass die Kommune sich aus dem Bereich zurückziehen kann, wenn das Land oder der Bund die Kosten übernimmt.”
Einen Widerspruch sieht er nicht. "Wir haben klargestellt, dass wir die Entgelte einführen, weil die Kommune alleine nicht die finanziellen Mittel aufbringen kann, um die Qualität zu erhalten und zu verbessern. Hätten wir einfach fröhlich so weiter gemacht und nichts verändert, hätte sich wahrscheinlich auch die Landespolitik nicht bewegt." Als die Diskussion über die Wiedereinführung der Kindergarten-Entgelte vor einem Jahr in Braunschweig begonnen habe, sei nicht absehbar gewesen, dass das Land finanzielle Mittel in diesem Bereich bereitstellen würde. Die finanzielle Situation habe sich aber so zum Positiven gewandt, dass nun etwas machbar sei und auch die Prioritäten der Landesregierung sich scheinbar in diesen Bereich verlagert hätten. "Ich bin ganz ehrlich, vor einem Jahr hätte ich mir das nicht vorstellen können", so Bratmann. Man müsse aber auch festhalten, dass es bei der Beitragsfreiheit um Kindergärten ginge, man dürfe nicht wieder alle Betreuungsformen durcheinander werfen. Auch die Krippe sei zum Beispiel eine wesentliche Einrichtung und man dürfe nicht den Fehler begehen, hier die Beiträge wieder nach oben zu heben. Deshalb müsse das Land auch ausreichende Mittel zur Verfügung stellen, damit die Kommune nicht am Ende wieder unter mangelnder Qualität leide. Er sei sich sicher, dass es aber bereits Überlegungen und Pläne dazu gebe. Er glaube nicht an ein Wahlkampf-Manöver. Wer Stephan Weil kenne und einschätzen könne, der wisse, dass dieser zu seinem Wort stehe.
Finanzielle Basis gefordert
Mathias Möller, FDP, äußerte sich für die Liberalen: "Die FDP Braunschweig hat sich im Kommunalwahlkampf grundsätzlich offen für eine Abschaffung der Kita-Gebühren gezeigt, daher begrüßen wir auch den landesweiten Ansatz. Allerdings muss die Umsetzung auf einer soliden finanziellen Basis erfolgen, egal ob auf kommunaler oder landesweiter Ebene."
Eine landesweite Lösung sei auf jeden Fall sinnvoll. Kommunale Regelungen würden immer zu Unterschieden im Angebot und der Betreuungsqualität führen. "Dies widerspricht unserer liberalen Vorstellung von Chancengerechtigkeit im Bildungssystem", ergänzte er. Ob der Vorstoß aus Sicht der FDP in einem deutlichen Widerspruch zu der Entscheidung in Braunschweig stünde? "Diese Frage muss sich die SPD stellen. In Braunschweig wurde aus unserer Sicht eine ausgewogene Lösung erarbeitet, die die Betreuungsqualität in den Mittelpunkt stellt und die finanziellen Möglichkeiten der Stadt berücksichtigt. Diese Prioritäten müssen auch bei einer landesweiten Lösung gewahrt werden. Mehrbelastungen der Kommunen dürfen nicht auftreten", so Möller.
Elke Flake, Grüne, sagte: "Den Vorstoß der Landes-SPD halten wir inhaltlich für unterstützenswert. Wir würden es begrüßen, wenn dieser dann nach der Wahl auch wirklich umgesetzt und das Land die Einnahmeausfälle dann auch vollständig finanzieren würde. Daher hoffen wir, dass es sich nicht nur um eine „Wahlkampf-Blase“ handelt, die nach der Landtagswahl wieder zerplatzt. Die komplette Abschaffung der Kita-Gebühren auf Landesebene wurde ja schon mehrfach angekündigt und wieder kassiert. Bekanntlich ist in Niedersachsen nur das dritte und letzte Kindergartenjahr vor der Einschulung seit einiger Zeit beitragsfrei.
Auf den ersten Blick scheint es natürlich einen starken Gegensatz zwischen dem SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil und dem SPD-Oberbürgermeister Ulrich Markurth zu geben. Während der eine die Kita-Gebühren in Niedersachsen demnächst völlig abschaffen will, sind diese auf Betreiben des anderen in Braunschweig gerade erst wieder eingeführt worden. Von uns ist dabei niemals aus grundsätzlichen Überlegungen heraus eine Kindergartengebühr gefordert worden. Der Beschluss zur Wiedereinführung in Braunschweig ergab sich aus der Senkungsnotwendigkeit der absolut überhöhten Krippengebühren sowie der nicht vertretbaren Gebührenungleichheit im Bereich der Schulkindbetreuung. In diesem Kontext war eine weitere Kostenübernahme der Beitragsfreiheit im Kindergarten, die nur aus kommunalen Mitteln finanziert wurde, nicht mehr dauerhaft zu leisten. Wenn die Beitragsfreiheit im Bereich des Kindergartens nun künftig durch das Land finanziert würde, wäre das sehr zu begrüßen."
Als Ergebnis hätten wir dann in Braunschweig für den Krippenbereich endlich eine sozial gerechte Staffel in einer für alle Einkommensgruppen gut bezahlbaren Höhe. Es gäbe kostenlose Kindergartenplätze und niedrige Beitragssätze im Bereich der Schulkindbetreuung zwischen null und dreißig Euro pro Monat. Und die Stadt Braunschweig hätte den finanziellen Spielraum, die zusätzlich freigewordenen Mittel für wichtige Qualitätsverbesserungen zu verwenden.“
"Wir dürfen gespannt sein"
Stefan Wirtz, Pressesprecher AFD, "Eindeutig nicht gut informiert zeigt sich die Braunschweiger SPD-Fraktion unter Vorsitz des Landtagsabgeordneten Bratmann. Noch vor wenigen Monaten war die Wiedereinführung von Kita-Gebühren nach Ansicht der beschließenden rot-rot-grünen Ratsmehrheit unvermeidlich. Ursprünglich als Mittel zur Haushaltssanierung erdacht, wurde nach Protesten die Gebührenhöhe und die Verwendung der Gelder angepasst. Nun überrascht die Weil-SPD im hannoverschen Landtag mit einem Vorschlag, der direkt aus dem AfD-Programm stammen könnte:
"Geradezu peinlich"
Ratsherrn Christian Bley antwortet für die FRAKTION P² im Rat der Stadt Braunschweig: "Es ist geradezu peinlich zu sehen, wie konträr Vertreter ein und derselben Partei zu dem wichtigen Thema der diskriminierungsfreien Bildung stehen. Bildung, in welcher Einrichtung auch immer, darf nicht einkommensabhängig sein! Daher begrüßen wir grundsätzlich die Idee, landesweit keine Kita-Entgelte mehr zu erheben.
Allerdings werden dabei die Jüngsten in den Krippen sowie die Hort-Kinder wieder einmal außen vor gelassen. Entgeltfreie frühkindliche Bildung ja, aber nur zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr? Um die Chancen aller Kinder durchgängig zu verbessern - und damit langfristig in Bildung zu investieren - müssen Krippe, Kita und Hort entgeltfrei werden.Neben den bedarfsberechten Öffnungszeiten ist auch eine hohe Betreuungsqualität zu gewährleisten. Ich bin sehr gespannt, wie die Finanzierungspläne dazu aussehen und ob diese transparent, als auch nachvollziehbar dargestellt werden."
mehr News aus der Region